"Es ist so witzig, Sachen nicht auszuschr"

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Mit Argusaugen wurde im Vorjahr ihre Teilnahme bei Bachmannpreis-Bewerb beobachtet. Stefanie Sargnagels "Statusmeldungen" festigen nun ihren Nimbus als Fremdkörper im Literaturbetrieb.

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Mit Argusaugen wurde im Vorjahr ihre Teilnahme bei Bachmannpreis-Bewerb beobachtet. Stefanie Sargnagels "Statusmeldungen" festigen nun ihren Nimbus als Fremdkörper im Literaturbetrieb.

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Interview mit Stefanie Sargnagel wird hier keines geboten, aus Sicherheitsgründen, es handelt sich um viel zu gefährliches Terrain. Nicht weil Sargnagel als besonders aggressiv ihren Interviewpartner gegenüber aufgefallen wäre, im Gegenteil, seit sie 2013 mit ihrem ersten Buch "Binge Living: Callcenter Monologe", in dem sie über ihre Erfahrungen als Callcenter-Mitarbeiterin bei der Rufnummernabfrage kalauert, auf der Bildfläche aufgetaucht ist, gibt sie Interviews in Dauerschleife. In seelenruhiger Bereitwilligkeit beantwortet sie seit mittlerweile vier Jahren die immergleichen Fragen nach roter Mütze (ja, ist ihr Markenzeichen, nein, trägt sie nicht erst seit sie bekannt ist), Leben im Gemeindebau (ja, da wohnt sie, nein, da ist sie nicht aufgewachsen), ihrer Zeit im Callcenter (ja, die Kollegen haben sich durchaus wiedererkannt, nein, sie arbeitet da nicht mehr) und Bierkonsum (leidenschaftlich, aber nachlassend). In Wahrheit macht sie das heldenhaft für ihre noch ungeborenen Kinder, wie man in ihrem neuen Buch "Statusmeldungen" erfährt:

1.12.2015 Ich mache alles mit, was mir von Medien angeboten wird, um über mein Buch zu berichten. Ich habe keine Würde, ich bin ja nicht blöd. Oder soll ich meinen Kindern mal erzählen "Heute gibt's schon wieder Fischköpfe, weil die Mama war sich zu cool für die Feuilletonspießer"?

Nach Lektüre und Ansicht dutzender Interviews mit Sargnagel scheint ein Scheitern vorprogrammiert, als besagter Feuilletonspießer kann man dabei eigentlich nur blöd ausschauen, der Erkenntnisgewinn hält sich zudem in Grenzen. Der Interviewer verkommt zum Stichwortgeber für eine One-Woman-Show. Tiefgründige Metaphysik geht an Sargnagels Ironie meilenweit vorbei, eigene humoristische Versuche verbieten sich von selbst, erinnert man sich etwa an Sargnagels Auftritt bei "Willkommen Österreich" 2015, bei dem Stermanns und Grissemanns zottige Fragen nach Alkoholismus und Depression an Sargnagels lakonischer Renitenz abprallten. Noch weniger funktionieren weitgehend ironiefrei geführte Interviews, die etwas selbstmitleidig Sargnagels Mitgliedschaft in der Burschenschaft "Hysteria" ankreiden und sie gleichzeitig als Ikone des Proletariats stilisieren möchten. Das funktioniert schlecht, weiß Sargnagel doch am besten, dass ihr Publikum überwiegend aus linken Hipstern besteht und die Arbeiterschaft mit ihrer Facebook-Literatur wenig anzufangen weiß.

6.2.2017 In Klagenfurt werd ich so viel reflektieren über Ingeborg Bachmann und so.

Spätestens seit ihrer mit Argusaugen beobachteten Teilnahme an den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" verortet man Sargnagel eindeutig im literarischen Feld. Das Spektakulärste an ihrem Auftritt beim Bachmann-Preis war nicht ihr durchaus passabler, wenn auch nicht weiter auffälliger Text, sondern ihr Gesicht, während sie dasaß und sich anhörte, was die heilige literarische Inquisition zu ihrem Text zu sagen hatte. In einer hochgezogenen Augenbraue verkehrte sich da, wer tatsächlich auf dem Prüfstand stand.

Während für Sandra Kegel der "Faust" einpacken kann, ortet Meike Feßmann einen ungebremsten Quasselmodus. Gewöhnlich und banal findet sie den Text, für Hubert Winkels ist er komplexe Literatur. Da wird überinterpretiert, geschwärmt und mit dem Kopf geschüttelt. Nun ist Uneinigkeit nicht ungewöhnlich, sondern typisch für den kritischen Diskurs, allerdings zeigen die Argumente der Jurymitglieder paradigmatisch, weshalb sich die sogenannte Bildungselite so schwer tut mit der Wienerin. Das Feuilleton hat ein Problem mit Sargnagel, es bekommt sie nicht zu fassen. Schwankend zwischen Anbiederung und Abwehr, Überhöhung und nur schlecht verhohlener Abscheu zeigt sich eine Hilflosigkeit im Umgang, mit etwas, das nicht ins Konzept passen will. Sargnagel ist ein intellektueller Fremdkörper. Sie hat die Performance als weibliche Inkarnation des karnevalesken Narren, dem es als einzigem erlaubt ist, die Wahrheit zu verkünden, perfektioniert. Das Profane bleibt dabei profan, wer versucht mehr hineinzulesen, ist Sargnagels satirischer Strategie ordentlich aufgesessen. Um große Literatur geht es dabei eben nicht, Sargnagel zum Bachmann-Preis einzuladen zeigt vielmehr die Verquickung von Autorpersona und Text, die für ihre Art der Literatur unerlässlich ist. Die mündliche Form und die Sichtbarmachung des performativen Charakters von Sprache, die beim öffentlichen "Wettlesen", wie der ORF den Bachmann-Preis gerne bewirbt, eine tragende Rolle spielen, sind wie zugeschnitten auf Sargnagels Literaturbegriff, die lange Form aber ist es nicht.

29.1.2017 Es ist so witzig, Sachen nicht auszuschr

Sargnagels Texte leben nicht unbedingt von ihrem vorrangig benutzten Medium, sie leben von der Verdichtung und dem identifikatorischen Angebot an die Leser und Leserinnen. Das funktioniert in Buchform genauso wie als Facebook-Posting, wie ihr letztes, bei Rowohlt erschienenes Buch "Statusmeldungen" vor Augen führt. Die zweifelnden Einwürfe, ob das denn Literatur sei, zeugen von einem festgefahrenen genre-und längenfixierten Literaturbegriff, mit Sargnagels Reputation als Internetliteratin hat das wenig zu tun. Kurze und humoristische Formen hatten es schon immer schwer, als Literatur anerkannt zu werden. Die Komponenten der Sargnagelschen Texte sind zudem alles andere als neu. Ihre gesammelten Facebook-Postings der letzten zwei Jahre sind Aphorismussammlung, Witzebuch und Nonsense-Literatur zugleich. Manches ist durchdacht, manches kommt völlig willkürlich daher. Ästhetische Fragestellungen treffen auf Fäkalhumor, Hipstertum auf Unterschichtslang. Das auseinanderzudividieren fällt der Hochkultur schwer. Der intellektuelle Witz und politische Scharfsinn, der vielen Einträgen als Folie dient, wird im nächsten Tastenanschlag dekonstruiert. Das Changieren zwischen schichtspezifischen Ästhetiken, zwischen Trash und Anspruch ist wahrscheinlich generationsspezifischer an Sargnagel, als die Tatsache, dass sie im Internet publiziert.

"Ich bin euer schlimmster Alptraum"

Was tatsächlich irritiert ist, dass eine hochgradig satirisch geprägte Kunstfigur wie Sargnagel -bürgerlich heißt sie Stefanie Sprengnagel -zur Hassfigur der radikal Rechten wird. Dichterfehden wurden schon feingeistiger ausgetragen als zwischen Sargnagel und Thomas Glavinic, der diese als Krawallnudel und Rollmops verunglimpfte. Das war aber im Vergleich mit dem Shitstorm, den ein Krone-Artikel heraufbeschwor und der Sargnagel zum Abschuss freigab, inklusive Veröffentlichung ihrer Wohnadresse, um diese auch gleich exekutieren zu können, harmlos. An Stefanie Sargnagel prallt das ab. Sie setzt dem ihre eigenen Waffen entgegen, nämlich Schlagfertigkeit, Ironie und Witz.

9.5.2016 Anzeigen gegen Mord und Gewaltdrohungen von FPÖ-Wählern ersetzen bald meine Stipendien.

Großartig ist der Epilog der "Statusmeldungen", in dem Sargnagel sich an "all die rechtskonservativen Männer, die mich mit Gewalt bedrohen, diese legitimieren oder darüber diskutieren, wie man dafür sorgen könnte, dass ich meine Wohnung verliere", wendet. In bester Valerie-Solanas-Manier ruft sie sich selbst zur "Göttin der Zerstörung und der Erneuerung" aus und will "manische Heerscharen aus euren mit dem Sterben ringenden Fängen jubelnd ins goldene Matriarchat" führen. Allein wegen diesem subversiven Widerstandspotential, das kein Selbstmitleid kennt und politische Inkorrektheit nicht scheut, ist Sargnagel momentan unverzichtbar.

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