"Es lebe DADA."

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Vor 100 Jahren, am 5. Februar 1916, wird im Cabaret Voltaire in Zürich eine neue Kunst ausgerufen, die alles Etablierte vehement verneint.

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Vor 100 Jahren, am 5. Februar 1916, wird im Cabaret Voltaire in Zürich eine neue Kunst ausgerufen, die alles Etablierte vehement verneint.

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Wieviel Sinn steckt im Unsinn? Im Februar 1916 geschehen in Zürich seltsame Dinge. Das Cabaret Voltaire wird zum Zentrum künstlerischer Darbietungen, wie man sie bislang nicht gesehen hat. Wieder einmal wird eine neue Kunst ausgerufen, die nichts weniger als einen Sturz alles vorher Gewesenen anstrebt. Erwachsene Menschen stehen auf der Bühne und proklamieren Gedichte, aus denen bei allem Bemühen kein deutbarer Sinn herauszuholen ist. Flankiert werden die Auftritte von Manifesten, aus denen ein Sinn sehr wohl herauszulesen ist.

Der Expressionismus, die eigentlich neue Kunstrichtung, an die sich das Publikum nicht ohne Widerstand gewöhnen will, ist den Künstlern des Cabaret Voltaire zu aufgedonnert pathetisch. Als Reaktion auf die unmittelbare Gegenwart scheint sie ihnen unangemessen. Die Gegenwart ist dominiert vom Ersten Weltkrieg, der mit unvorstellbarer Gewalt über Länder und Städte herfällt. Am 21. Februar 1916, als die Zürcher Dadaisten um Hugo Ball, Richard Huelsenbeck und Emmy Hennings noch dabei sind, die Belastbarkeit des Publikums auszureizen, tritt der Krieg mit der Schlacht um Verdun in eine besonders grausame Phase.

Wie also sollte die Kunst anders reagieren als mit einem ästhetischen Angriff auf all die Gewalt und die rhetorischen Rechtfertigungsversuche, damit das Sinnstreben in mörderischen Zeiten der Lächerlichkeit preisgegeben würde? Der Anspruch ist politisch, die Ausführung grotesk, schrill, aufmüpfig, alles Wahre, Gute, Schöne, das einmal hoch im Kurs stand, in den Dreck ziehend. "Wir werden politische Ereignisse persiflieren, die Menschheit belehren, ihr ihre Dummheit vorhalten, dem Mucker die schlechte Laune abgewöhnen, dem Philister die Sonnenseite des Lebens zeigen, dem Hypochonder die heuchlerische Maske abnehmen", so tönt es angriffslustig aus einem Manifest der Anfangsjahre.

Raoul Hausmann kann dieser Haltung drei Jahre später nur zustimmen: "Ich verkünde die dadaistische Welt! Ich verlache Wissenschaft und Kultur, diese elenden Sicherungen einer zum Tode verurteilten Gesellschaft." Das Pamphlet gehört zur Grundausstattung eines echten Dadaisten, für den es zum guten Ton gehört, mit dem guten Ton Schluss zu machen.

Dada kommt aus dem Zorn

Dada entsteht aus einem vehementen Nein gegenüber allem Etablierten. Kunst, Politik, Gesellschaft, alles, wie es sich den Neudenkern in ihrer Gegenwart zeigt, gibt nur Anlass zur Verachtung. Dada ist Widerstand und Protest, hat nur Bestand in der Opposition, kann unmöglich zur führenden Kraft werden, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, nie könnte Dada eine Leitkultur anführen. Dada kommt aus dem Zorn und nicht aus der Analyse, die Vernunft zählt nicht zu den bevorzugten Ratgebern der Künstler. "Die Menschen erwerben Diplome und verlieren ihren Instinkt." Diese Notiz von Francis Picabia entspricht der Grundeinstellung eines richtigen Dadaisten. Er lässt sich nicht festmachen, befindet sich auf dem Sprung, seine wahre Bestimmung liegt im Unterwegssein. Dada lässt sich als Vereinigung eines Suchtrupps verstehen, der sich gemeinsam auf den Weg macht, um individuelle Entdeckungen nach Hause zu tragen. Selten findet man von einer Künstlergruppe derart viele Manifeste, verfasst zu dem Zweck, um gemeinsame Willensbekundungen zu dokumentieren, weil sonst Einzelgänger schwer zu vereinigen sind. Gemeinsam ist allen das Bedürfnis, sich abzusetzen von Konkurrenten und den Zeitgenossen sowieso.

Gewiss ist es sinnvoll, in der Zeit der Ideologien und Nationalismen eine Rebellion in der Kunst anzuzetteln und zwar eine, die sich vehement gegen alle herkömmlichen Ideale, Gewohnheiten und Übereinkünfte wehrt. Immerhin kommt so die Gesellschaft, alles Unliebsame gerne ignorierend, gar nicht umhin, auf solche Leute aufmerksam zu werden. Die Empörung des Volkes trifft die Künstler, die im Gegenzug die Philister der Blindheit zeihen, weil sie sich in den Verhältnissen, die solch eine Kunst provozieren, einrichten, statt sie zu eliminieren.

"Totentanz 1916" heißt ein Gedicht von Hugo Ball, das sich den Krieg vornimmt. Zynismus wird zur Waffe des Dichters.

So sterben wir, so sterben wir,

Wir sterben alle Tage,

Weil es so gemütlich sich sterben lässt.

Morgens noch in Schlaf und Traum

Mittags schon dahin.

Abends schon zu unterst im Grabe drin.

Dass das Gedicht in einer Majestätsbeleidigung ausklingt, darf sich Ball nur leisten, weil es in der sicheren Schweiz erscheint:

Wir danken dir, wir danken dir,

Herr Kaiser für die Gnade

Weil du uns zum Sterben erkoren hast.

Provokation gehört zum Selbstverständnis dieser Bewegung. "Unser Kabarett ist eine Geste. Jedes Wort, das hier gesprochen und gesungen wird, besagt wenigstens das eine, dass es dieser erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist, uns Respekt abzunötigen", so formuliert Hugo Ball den Anspruch, dem Zeitgeist Paroli zu bieten.

Das gelingt nicht nur über Verächtlichmachung großer Männer, sondern auch in der Verweigerung, dem Publikum Verständigungsangebote zu reichen. Die Sprache wird zum Material für Klänge, Rhythmen und Geräusche. Die Dadaisten zielen auf das Gefühl. Hugo Ball erinnert sich, wie ein "undefinierbarer Rausch" alle heimgesucht habe. Voraussetzung dafür ist die Öffentlichkeit, die unter akustische Dauerattacken gerät. Es versteht kein Wort, aber es fühlt sich im Innersten getroffen. Die Inszenierungen werden immer ausgeklügelter, zumal die Aufführungen auf Wirkung abzielen. Es kommen Masken dazu, Fantasiegebilde, die an keine realen Vorbilder erinnern sollen.

Hochform in den Lautgedichten

In Lautgedichten laufen Dadaisten zur Hochform auf. Das einzige, was die Vorstellungkraft des Publikums in Hugo Balls Lautgedichten von 1916 befeuert, ist der Titel. Das Gedicht fordert heraus zur Assoziation und zum emotionalen Aufruhr: "ombula/take/bitdli/solunkola/tablo tokta tokta takabla/taka tak/Babula m'balam " Es lässt sich gut vorstellen, wie unvorbereitete Hörer überfordert reagierten. Diese Literatur muss gehört werden, gelesen entwickelt sie nicht die Kraft, mit der sie über einen hereinbricht.

Was in Zürich begann, entwickelte sich rasch zu einer internationalen Bewegung. "Der Dadaismus war notgedrungen ein internationales Produkt", schrieb Richard Huelsenbeck. "Man musste etwas Gemeinsames zwischen den Russen Rumänen, Schweizern und Deutschen finden." Sie alle fanden im Krieg in der Schweiz zusammen, dabei wollte es Huelsenbeck nicht belassen. Er war fasziniert von der Energie, die von der neuen Kunstrichtung ausging, also brachte er sie nach Berlin, wo sie - Deutschland war Kriegsteilnehmer - umso gewaltiger wirken musste. George Grosz, Walter Mehring, Wieland Herzfelde machten von Anfang an mit. Die Manuskripte mussten der Polizei vorgelegt werden, was nach Huelsenbeck aber kein Hindernis darstellte: "Im Revier saßen einige weißbärtige ältere Beamte, die kaum lesen und schreiben konnten, jedoch versuchten, aus unseren Versen polizeiwidrige Worte zu streichen. Man konnte sie aber meistens überreden, unsere Arbeiten unberührt zu lassen. Da sie nichts von dem ihnen Vorgelegten verstanden, fiel ihnen das nicht schwer und sie machten sich keine Gewissensbisse."

Berliner Dadaismus

Die Berliner Version des Dadaismus war härter, ging zielgerichtet gegen Untertanengeist und Spießbürgertum vor, bildete neue Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks aus. Die "Publikums Lästerung" von Walter Mehring nahm Handkes "Publikumsbeschimpfung" vorweg: "Ihr / Bananenrohköstler und Eisbomben-Eskimos! / Wetzt eure Löffel und ölt die Posaunen /zum Dreiklang des Jüngsten Gerichts". Die Berliner sahen den Zürcher Dadaismus in Gefahr, in ästhetischer Selbstgefälligkeit aufzugehen. Der Ton wurde aggressiv, die Abgrenzungsbemühungen zu benachbarten Bewegungen wie Futurismus und Expressionismus entschieden. Mit einer Ästhetik der Simultaneität wollten die Berliner Dadaisten eine der Zeit gemäße Form gefunden haben. Das "simultanistische Gedicht" ersetzte das "statische Gedicht". Es "lehrt den Sinn des Durcheinanderjagens aller Dinge, während Herr Schulze liest, fährt der Balkanzug über die Brücke bei Nisch, ein Schwein jammert im Keller des Schlächters Nuttke."

Der Zusammenhalt der so heterogenen Gruppe war von kurzer Dauer. George Grosz, Wieland Herzfelde und John Heartfield, der die Collage zum politischen Kampfmittel entwickelt hatte, traten in die Kommunistische Partei ein, das hält eine Bewegung, die sich der Negation verschrieben hat, nicht lange aus. Als Tristan Tzara Zürich verließ, machte er Paris zu einem Zentrum von Dada. Eine illustre Runde fand sich dort zusammen, André Breton, Paul Eluard, Louis Aragon zählten dazu. Eine Fortsetzung oder gar Wiederholung dessen, was andernorts schon geschehen war, wollten sie nicht leisten, dazu handelte es sich bei diesen Gestalten um viel zu ausgeprägte individuelle Charaktere. Das war gleichzeitig das Verhängnis der Bewegung. Miteinander kamen sie auf keinen grünen Zweig. Breton war der Systematiker des Unsystematischen, als ordentlicher Denker musste er den anderen suspekt werden. Er versuchte ins Innerste des Bewusstseins zu dringen und erfand dafür das automatische Schreiben, das ohne Kontrolle durch das Denken verborgene Ich-Schichten bloß legen wollte. Am Ende ging Dada im Surrealismus auf.

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