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Willkommen in der Normalität. Österreichs besondere politische Rolle hat sich erschöpft. Und damit das Modell der großen Koalition als Regierungsform. Es reicht wirklich.

Wie wahr: Es reicht! Der mit ziemlichem Schwung unternommene politische Befreiungsschlag von Vizekanzler und ÖVP-Obmann Willi Molterer gelang. Sein "Es reicht!" löst die Koalition auf, verursacht eine voraussichtlich in den September fallende Nationalratswahl - und legt plötzlich Verwerfungen des politischen Systems sowie die Schwächen seines Personals bloß. Sich diesen Umständen zuzuwenden scheint uns wesentlicher zu sein, als täglich in dekadenter Unterhaltungslust die atemlos übermittelten Rennberichte zu sezieren, denen zufolge die Pferde einer Partei jenen der anderen um eine wenige Hufschläge voraus seien, was sich aber auf den nächsten hundert Metern wieder ändern könne. Auch davon haben wir - Es reicht! - mehr als genug. Wovon wir hingegen nicht genug haben, ist Klarheit über die Erfordernisse an Erneuerung des politischen Systems. Wahrscheinlich, weil es bisher an Mut fehlte, das Alte - und historisch Bewährte - auszusortieren. Dazu gehört jedenfalls das Modell der großen Koalition. Das ist am Ende, hat ausgedient. Volkspartei und Sozialdemokraten werden einander nie verzeihen, sich die Macht mit dem anderen teilen zu müssen. Zu sehr sind sie, geschichtlich bedingt, von Wunsch und Wille beseelt, stets die Alleinnachfolge absoluter Macht anzutreten. Wenn man aber schon nicht alleine regieren kann, so müsse man - in der verquerten Logik großer Koalitionen - den anderen an der Machtausübung zumindest so weitgehend wie möglich behindern. Das Ergebnis ist bekannt, man ist versucht, zu sagen: Es reicht! Denn die gegenseitigen Belauerungen und Behinderungen, das wechselseitige Abtauschen von Posten und Positionen, das Feilschen um Steuern und Subventionen - das alles hat die Politik gelähmt, enorme Kräfte gebunden, Energie verschlissen, Personal verbraucht. Es gibt kein, wirklich kein einziges wesentliches gesellschaftliches Feld der Politik, auf dem die große Koalition zuletzt Entscheidungen getroffen und Zeichen gesetzt hätte. Alles, alles war prompt umstritten, vor allem, wenn es wesentlich war. Die Schulreform ist ein Flickwerk, die Gesundheitsreform gescheitert, die Staatsreform eine Bände füllende Redeübung, und zuletzt ging sogar die gemeinsame Außen- und Europapolitik in Brüche. Nach über sechzig Jahren Frieden, über fünfzig Jahren Staatsvetrag und nach über zehn Jahren Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist Österreichs politisches Systen von beklemmender Normalität.

Mit dem Ende der ständestaatlichen Klientelpolitik und der Einkehr von Normalität sollten der Mut einhergehen, mit Reformen zu allererst beim Wahlrecht anzusetzen, namentlich ein etwas mehrheitsförderndes Wahlrecht herzustellen. Die Parlamentarier sollten zudem, dem Muster der Enqueten des Hohen Hauses folgend, mehr an bewährten Persönlichkeiten des Landes auch im Vorfeld der Gesetzgebung anhören. Wie gescheitert eine Politik geheimer Verhandlungen hinter verschlossenen Türen ist - Es reicht! -, dürfte nicht erst seit dem peinlichen Totalscheitern der als Gesundheitsreform apostrophierten Krankenkassensanierung klar geworden sein. Mit neuem Wahlrecht und neuen Formen parlamentarischer Beratungen sollte zudem das, übrigens zutiefst demokratische, Bewußtsein einziehen, wonach Mandate nicht einen Machtanspruch begründen sondern auf beschränkte Zeit mit beschränkten Befugnissen verliehen werden, um unter Kontrolle und Überprüfbarkeit eine von der Gemeinschaft anvertraute Aufgabe bezahlt zu erledigen. Der gescheiterte SPÖ-Vorsitzende und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ist lebendes Beispiel, wie sehr man das nicht verstehen und nicht akzeptieren kann. Überheblich und selbstgefällig bis zur Abwahl.

Erhard Busek ist schon zuzustimmen, wenn er zur bürgernahen Politik stets den politiknahen Bürger einmahnte. Denn auch von den vorsätzlich Desinteressierten, die ständig meinen, von der Schule über das Wohnen bis zur Gesundheit sollte alles gratis sein, können wir nur sagen: Es reicht! Es gehört zur Demokratie, dass sich Bürger mit den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens qualifiziert befassen, statt sie nur der Politik zu überlassen und über diese dann zu räsonieren.

claus.reitan@furche.at

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