"Es wird der Teufel an die Wand gemalt"

Werbung
Werbung
Werbung

Der 25-jährige steirische Regisseur Felix Hafner ist mit seiner Inszenierung von Molières "Menschenfeind" für den Nestroy-Preis im Nachwuchswettbewerb nominiert. Die FURCHE sprach mit ihm über Wutbürger und Regie-Schreihälse.

Die Furche: Nach dem Erfolg mit "Menschenfeind" reüssierten Sie nun erneut am Volkstheater mit Nestroys "Höllenangst". Was hat Sie an dem Stück interessiert?

Felix hafner: Es gab viele Punkte, die mich fesselten: etwa der im Titel angesprochene Begriff der Angst, die auch aktuell ein wichtiges Thema ist und im Stück in allen Formen durchdekliniert wird. Die Politik macht ihre Geschäfte mit den Ängsten der Menschen. Es wird der Teufel an die Wand gemalt, bis alle daran glauben. Außerdem interessiert mich die Frage nach der Veränderung einer Gesellschaft, die im Umbruch ist. Nestroy zeigt in "Höllenangst" einen idealistischen jungen Mann, Wendelin, der sich in seiner Wut auf die bestehenden Verhältnisse in einen Fanatismus verrennt, aus dem er nicht mehr herauskommt. Das ist ein Teufelskreis. Wendelin verpasst alle Stationen, an welchen er aktiv werden und etwas gegen das System unternehmen könnte. Das Stück erzählt aber auch von politischen Machthabern, die die Wut aufmüpfiger Bürger zum eigenen Vorteil nutzen.

Die Furche: Ein vielzitierter Vers aus dem Stück lautet: "I lass' mir mein' Aberglaub'n / Durch ka Aufklärung raub'n". Wie sind Sie in Ihrer Inszenierung mit dem Aspekt der Irrationalität umgegangen?

hafner: Das Stück erzählt von alternativen Fakten, an die Wendelin glaubt. Er ist fest davon überzeugt, dass es sich beim Oberrichter um den Teufel handelt. Ja, er ist geradezu von dieser Idee besessen. Selbst seiner geliebten Rosalie gelingt es nicht, Wendelin in die Realität zurückzuholen. Hier manifestiert sich das Problem der "erfundenen Realität": Wenn genügend Leute an etwas glauben, wird es zur Wahrheit erklärt.

Die Furche: Welche Rolle spielt die Religion? Braucht der Mensch einen Glauben, der Sicherheit und Orientierung verspricht?

hafner: Diese direkt religiöse Komponente, die es im Stück auch gibt, stand nicht im Mittelpunkt meiner Arbeit. Ich wollte eher nach der Bedeutung von Fanatismus Ausschau halten. Denn eine fatalistische Weltsicht schließt die Möglichkeit aus, gegen bestehende Verhältnisse anzukämpfen. Dafür steht auch das Bild der dunklen Stadt, die am Ende zur illuminierten wird. Das kann man allerdings doppelt deuten: einerseits als erleuchtete Stadt, andererseits auch als brennende. Das Ende bleibt also offen.

Die Furche: Nestroy hat das Stück unmittelbar nach der Revolution 1848 geschrieben, Wien wird dennoch nicht explizit erwähnt.

hafner: Nein, das ist eben das Tolle, dass Nestroy keinen konkreten Ort, sondern einen Mikrokosmos zeigt, in dem er alle Gesellschaftsschichten auftreten lässt. Proletarier, Adelige, Groß-und Kleinbürger, hohe Politiker. Ihr Zusammenspiel und die Frage nach den gesellschaftlichen Hierarchien standen im Fokus meiner Inszenierung.

Die Furche: Das zeigen Sie auch über das Bühnenbild, eine Art Halfpipe oder ein Schiffsbauch?

hafner: Die Bühne soll verschiedene Assoziationen hervorrufen. Ich hatte das Bild eines Kessels vor mir, in den die Figuren hineingespült werden. Ich wollte eine Form von Widerstand herstellen. So rennen die gesellschaftlich Schwächeren mit voller Kraft gegen die Wände. Ich wollte sichtbar zu machen, wer wo steht und wer wohin kommt.

Die Furche: Für die Couplets haben Sie den Satiriker Peter Klien und den Jazzmusiker Clemens Wenger gewonnen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

hafner: Ich wollte die Couplets aus dem Wienerisch-gemütlichen herausholen. Dabei dachte ich an Rapper, die über ihre Musik die Menschen direkt erreichen. Ich fragte Peter Klien, ob er die Couplet-Texte schreibt, denn mir imponiert, wie klug er - vor allem Politikern -unangenehme Fragen stellt. Clemens Wenger war mit seiner musikalischen Vielseitigkeit der Richtige.

Die Furche: Das Volkstheater hat eine schwierige Position in der Wiener Theaterlandschaft, mit Ihrem Zugang gewinnt es auch ein junges Publikum?

hafner: Ich kann nur von der Perspektive meiner Generation ausgehen und wenn sie andere erreicht, dann passt das doch wunderbar! Doch habe ich nicht nur ein junges Publikum im Blick. Ich wollte vielmehr Nestroy aus dem Biedermeier-Verständnis holen und aus heutiger Sicht erzählen. Das war auch bei meiner Inszenierung von "Menschenfeind" erfreulich, dass sich verschiedene Generationen angesprochen fühlten.

Die Furche: Sie werden immer wieder mit Martin Kusej in Verbindung gebracht. Er war Ihr Regielehrer am Max Reinhardt Seminar, und er inszenierte ebenfalls "Höllenangst".

hafner: Ich wusste, dass mit der Stückwahl diese Nähe hergestellt wird. Dennoch war ich überrascht, wie stark die Berichterstattung das hervorgehoben hat, denn immerhin liegt seine Arbeit elf Jahre zurück. Als Regiestudent habe ich vieles von Kusej gelernt. Ich möchte aber nicht, dass die beiden Inszenierungen miteinander verglichen werden, denn ich habe meine eigene Handschrift.

Die Furche: Welche Stücke möchten Sie in den nächsten Jahren inszenieren?

hafner: Groß auf meiner Liste steht Bertolt Brecht. Die "Dreigroschenoper" ist gigantisch, aber auch "Baal" interessiert mich sehr, ebenso Büchners "Woyzeck", aber dafür brauche ich noch mehr Erfahrung.

Die Furche: Und Gegenwartsdramatik?

hafner: Da gibt es einige, bei Thomas Arzt interessiert mich, dass er sehr genau österreichische Lebensrealitäten abbildet, an Thomas Köck schätze ich das Überbordende. Zugleich bedeuten seine Texte eine große Herausforderung für die Regie. Auf jeden Fall möchte ich unterschiedliche Stücke inszenieren, nicht der österreichische Regisseur für österreichische Stoffe werden. In der kommenden Saison inszeniere ich in St. Pölten eine Bearbeitung von Joseph Roth, danach am Münchner Volkstheater Aldous Huxleys "Brave New World".

Die Furche: Haben Sie Ängste, etwa dass die Erfolgsserie abreißt?

hafner: Während des Studiums unterschätzt man diese Ängste. Man denkt, das wird schon irgendwie gehen. Meine aktuelle Angst ist eher, jetzt zu viel zu machen, sodass ich mich nicht mehr seriös mit einem Stück beschäftigen kann. Außerdem möchte ich mich nicht in dieser Theaterindustriewelt verbiegen lassen. Hier herrschen starke Hierarchien, ich aber möchte Ziele erreichen, ohne ein Regie-Schreihals zu werden. Aber ich denke ohnehin, dass die Zeit der Regie-Schreihälse vorbei ist.

Nestroys 'Höllenangst' erzählt von alternativen Fakten, an die Wendelin glaubt. Hier manifestiert sich das Problem: Wenn genügend Leute an etwas glauben, wird es zur Wahrheit erklärt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung