Eskalierende ÄNGSTE

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Wie Populisten es schaffen, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln und wie es möglich wäre, das künftig zu verhindern.

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Wie Populisten es schaffen, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln und wie es möglich wäre, das künftig zu verhindern.

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Populismus ist eine Ideologie, die auf dem Konzept "des Volkes" beruht. Im "Volk" befinden sich alle "wahren" Deutschen, Österreicher, Ungarn, Finnen, US-Amerikaner usw. "Das Volk" erscheint dabei als Einheit. Aber diese Einheit gibt es nicht: Wer sollte "das Volk" sein? Von "dem Volk" zu reden bedeutet, sich gedanklich einen Container vorzustellen, in dem alle "guten","ehrlichen","aufrechten" Menschen eines Landes versammelt sind. Innerhalb des Containers spielen Unterschiede keine Rolle für das politische Handeln. Die bunte und vielschichtige Bevölkerung wird zum homogenen "Volk". Dieser Gruppe wird ein einheitlicher Wille unterstellt. Er legitimiert den populistischen Politiker, - das kann auch eine Frau sein. Populisten schreiben sich selbst die Fähigkeit zu, mit dem "Volkswillen" verbunden zu sein. Sie wissen, was "das Volk" wirklich will. "ER sagt, was IHR denkt", haben im Wahlkampf Jörg Haider und Heinz-Christian Strache plakatiert.

Das "Wir" und "die Anderen"

Den Kern des populistischen Denkens bildet das Bild einer Gesellschaft, die nur zwei Teile kennt bzw. in zwei Teile zerfällt. Den anständigen "Wir" ("dem kleine Mann") stehen "die Anderen" gegenüber. "Die Anderen" umfassen die "Elite" ("die da oben"), das Ausland ("die da draußen") und Schichten im eigenen Land ("die da unten", z. B. "Sozialschmarotzer"). "Wir" und "die Anderen" müssen als gleichartig aufgefasst werden. Alle Feinde werden gebündelt und zu einem einzigen Feind verdichtet. Van der Bellen war für die FPÖ ein Vertreter "des Systems" im Inneren und zugleich ein Agent der EU usw.

Das duale Schema im Rechtspopulismus ist Ausdruck eines Angstdenkens. Je mehr Ängste in der Bevölkerung vorhanden sind, desto erfolgreicher kann sie sein. Die FPÖ hat seit über 20 Jahren in vielen Wahlplakaten ihr dichotomes Bild von "Wir" gegen "Die" auf den Punkt gebracht: "Heimat statt EU-Diktat","Sichere Pensionen statt Asyl-Millionen","Sozial statt gierig &brutal", "Daham statt Islam","Volksvertreter statt EU-Verräter" usw.

Die rechtspopulistische Angst-Politik umfasst vier Schritte. Es geht darum, Ängste anzusprechen, sie zweitens zu verstärken, drittens auf das Bild der zweigeteilten Gesellschaft zu lenken ("die Anderen" fungieren als Sündenböcke) und viertens Lösungen anzusprechen bzw. Verheißungen zu verkünden.

Rechtspopulismus lebt davon, Ängste anzuheizen und möglichst zu steigern, und das nicht nur bei den Wahlen, sondern permanent. Rechtspopulismus braucht die permanente Erregung gegen "Die", - im Fall von Donald Trump sind es aktuell die Medien. In allen Ländern führen Rechtspopulisten einen lauten Kampf gegen Zuwanderer und Asylbewerber. Sie dienen als Sündenböcke, ihnen wird jedes Verbrechen unterstellt. Dieses Bild muss wieder und wieder in Einzelbeispielen erzählt werden, dafür sind auch erfundene Untaten gut, - erzählt in einer eigenen digitalen Parallel-Realität mit eigenen Sites, Videonachrichten und Facebook-Accounts: Flüchtlinge überfallen und vergewaltigen einheimische Frauen. Deutschland und Österreich sind zum Selbstbedienungsladen für Fremde geworden. Flüchtlinge stehlen Tiere und schlachten sie in archaischen Ritualen. Warum steht über diese Vorgänge so wenig in der Presse? Weil die Polizei und die Medien bewusst lügen, wenn es um Verbrechen von Flüchtlingen geht. Weiters: Flüchtlinge besitzen Privilegien, die "wir" nicht haben, bzw. "uns" werden, wenn um es Flüchtlingen geht, Rechte genommen. Kein Wunder, dass der Sozialstaat sparen muss.

Die Steigerung der Ängste

Alle rechtspopulistischen Bewegungen sind dafür bekannt, Ängste bis auf das Äußerste zu steigern. Heinz-Christian Strache hat wiederholt vor einem Bürgerkrieg in Österreich gewarnt. Donald Trump hat in seiner Antrittsrede ein düsteres Bild des Schreckens gemalt: "Mütter und Kinder, die in unseren innerstädtischen Problemvierteln in Armut gefangen sind; verrostete Fabriken, das Verbrechen und die Banden und die Drogen, die zu viele Leben gestohlen und unserem Land so viel unerfülltes Potenzial genommen haben." Aber die Verheißung ist nah: "Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in der Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde. Die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes werden nicht mehr vergessen sein."

Das Ansprechen und die Ausbeutung von Ängsten scheint im Rechtspopulismus keine Grenze zu kennen. Auch die Angst vor dem eigenen Tod kann politisch verwertet werden. "Wir" als Gruppe -das sagen viele Rechtspopulisten -sind vom Aussterben bedroht. Denn "die Anderen" aus dem Ausland, die "uns" wie eine Flut überrollen, sind viel fruchtbarer als "wir": eine "Umvolkung" droht. Dies kann noch gesteigert werden, wenn der Zustrom der Fremden als bewusste Strategie "der Eliten" geschildert wird: "Die "wollen "uns" gezielt "überfremden". Eine Welt, in der gigantische Verschwörungen für wahr gehalten werden, ist von Angst durchdrungen.

Was Populisten antreibt

Rechtspopulisten sind aber nicht nur darin geübt, reale Ängste wirkungsvoll anzusprechen, sondern leben selbst in einer Welt dunkler Ängste. Rechtspoplisten sind von Ängsten besessen, kein Sieg kann ihre Welt heller machen. Donald Trump ist durch seinen Wahlsieg nicht optimistischer oder menschenfreundlicher geworden. Weil Rechtspopulisten in einer Angst-Welt leben, können sie die abstrakten Regeln der Demokratie nicht als angstmildernd begreifen. Denn gleiche Rechte für alle stehen einem "Kampf der Wir gegen Die" im Wege. In der fiktiven dualen Welt des Rechtspopulismus müssen demokratische Standards systematisch abgebaut werden. Die Folgen sind (siehe Ungarn, Polen oder USA) der Versuch, alle unabhängigen Institutionen zu schwächen, Gerichte, Medien, Oppositionelle und Nicht-Regierungs-Organisationen.

Verschwörungstheorien mobilisieren die Anhängerschaft, aktivieren Hass auf vermeintliche Sündenböcke und lenken kollektive Energien in Aggressionen um. Aber im Rechtspopulismus werden nicht alle Ängste genutzt. Im Gegenteil: Manche Ängste müssen weggedacht werden. Etwa die Angst vor dem Klimawandel. Eine effektive Klimapolitik würde ja auch bedeuten, dass eine globale Kooperation über alle Länder wirksam wird, was dem rechtspopulistischen Denken widerspricht.

Eine ähnliche Blindheit gilt für alle großen Probleme der Wirtschaft. Sie werden nicht adressiert, weil es im Rechtspopulismus streng genommen keine eigenständige Sachpolitik geben kann. Denn jedes Sachproblem wird als Personenproblem (d. h. als Ausdruck eines Kampfes zweier Gruppen) uminterpretiert. Für Rechtspopulisten besitzt das Wirtschaftssystem per se keine strukturellen Mängel -genau so verstehen die Milliardäre in Trumps Regierung den Kapitalismus. Heute werden im Rechtspopulismus soziale Probleme als völkische neu definiert. Soziale Ängste (wie zum Beispiel die Angst vor einer zu großen Ungleichheit oder einem zu selbständig gewordenen Finanzsystem) können nicht strukturell angegangen werden. Wer in einer Angst-Welt lebt, kann nicht positiv-einschließend über die Zukunft denken.

Ein positives Zukunftsbild von mir, als Wunsch an die anderen Parteien: Offen Probleme der Zukunft ansprechen (z. B. die Angst vor der Digitalisierung der Arbeit, die Angst vor einer neuen Wirtschaftskrise, die Angst vor unsicheren Pensionen ), Lösungen nennen (für jedes Problem existiert eine Vielzahl von Lösungsvorschlägen), Bilder einer positiven Zukunft entwerfen (wie soll Österreich in fünf oder zehn Jahren dastehen?) und glaubhafte Schritte dazu ankündigen. Ein solcher Diskurs könnte den rechtspopulistischen Höhenflug schnell Vergangenheit werden lassen.

| Der Autor ist Professor der Johannes Kepler Universität Linz und Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues |

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