Ethische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik

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Die neue Handlungsqualität, die mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) verbunden ist, liegt nicht in der Relativierung der Schutzwürdigkeit des Embryos. Vielmehr besteht erstmals die Möglichkeit, aus einer Mehrzahl von Embryonen einen einzelnen auszusuchen. Beim Schwangerschaftsabbruch kann man sich lediglich für oder gegen ein Leben entscheiden; bei der PID hingegen entscheidet man sich nicht nur gegen den einen Embryo, sondern gleichzeitig für einen anderen. Es erfolgt also eine Auswahl. Das rechtfertigungsbedürftige Handeln bei der PID besteht also darin, dass de facto ein Embryo gezeugt wird und erst unter der Bedingung, dass er nicht Träger eines bestimmten Gens ist, am Leben erhalten wird. Die Annahme des Embryos wird nicht von seiner Existenz abhängig gemacht, sondern von der genetischen Qualitätsprüfung. Somit wird bei der PID menschliches Leben auf Probe gezeugt und nicht bedingungslos angenommen.

Als mögliche Rechtfertigung für diese Zeugung auf Probe bleibt letztlich nur der Wunsch der Eltern auf ein Kind ohne das bestimmte Genmerkmal. In dieser spezifischen Situation besteht die Alternative zum Kind mit spezifischem Gendefekt freilich nicht nur in der PID, sondern auch im Verzicht auf ein Kind oder in der Adoption eines Kindes. Diesen Konflikt könnte man auch so formulieren, dass ein Embryo deswegen auf Probe gezeugt wird, weil der Verzicht auf ein Kind oder die Adoption eines Kindes das größere Übel wäre. Wenn man nicht so argumentieren will, müsste man ein Recht der Eltern auf ein Kind ohne Gendefekt postulieren - und dies wird kaum gelingen.

Die Präimplantationsdiagnostik wirft überdies die schwerwiegende Frage auf, inwiefern das Verfügbarmachen der PID Auswirkungen auf die Solidarität haben könnte - die Solidarität mit behinderten Menschen, aber auch mit den Eltern, die in Rechtfertigungsnot geraten könnten, wenn sie als Genträger auf die PID verzichten und gegebenenfalls ein behindertes Kind in Kauf nehmen würden. Die breite Gesellschaft könnte dem einzelnen Paar in diesem spezifischen Falle ihre Solidarität aufkündigen, sei dies nun finanziell oder auch "nur" emotional, indem sie mit wenig Verständnis auf eine solche Entscheidung reagierte. Die Geburt eines Kindes mit vordiagnostizierbarer genetischer Erkrankung würde damit als grundsätzlich verhinderbar und nicht (mehr) als schicksalhaft wahrgenommen werden. Das Angebot der Präimplantationsdiagnostik, dies müsste bei einer Güterabwägung mit bedacht werden, könnte somit die Einführung einer unterschwelligen sozialen Verpflichtung zur Inanspruchnahme dieses Angebots zur Folge haben.

Der Autor ist Privatdozent am Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg/Breisgau

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