Europa braucht einen Kraftakt

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Als das Augenzwinkern noch geholfen hat, war die EU ein Erfolgsprojekt. Sie hat sich auf ihre Weise immer durch schwierige Situationen durchgewunden. Sobald es Schwierigkeiten gab, lief die diplomatische Maschinerie der Mitgliedstaaten auf Hochtouren, Beamte bereiteten Kompromisse vor, Staatschefs tauschten Interessen ab - am Ende stand eine für alle tragbare Lösung, welche die Einheit wahrte - aber dafür letzten Endes die Entscheidungsfähigkeit der Gemeinschaft schwächte.

Der "Britenrabatt“ ist ein herausragendes Beispiel für diese Arbeitsweise. Er sicherte der EU 1984 zwar den Verbleib einer Atommacht im Staatenverbund, indem den Briten Beiträge zu EU-Budget erlassen wurden. Doch an der britischen Politik, jeden Schritt einer weiteren politischen Integration Europas durch zähen Widerstand zu verhindern, änderte er nichts.

Entsprechend verwässert gestalten sich alle jüngeren Vertragswerke der Union: Amsterdam 1997, Nizza 2000, Lissabon 2007. Nicht bedacht wurde bei der Zubereitung dieser offensichtlich krisenuntauglichen Melange von nationalstaatlichen und gemeinschaftlichen Interessen, dass der 1999 in Kraft getretenen Währungsunion eine weitgehend politische Union folgen sollte. Und zwar auf den Fuß, so wie das eigentlich 1989 zwischen Deutschland und Frankreich besprochen war. Statt diese Vorgabe zu erfüllen, begnügte man sich mit "Fortschritten“, denen "weitere Schritte“ folgen sollten, die niemals Wirklichkeit wurden.

Die Quellen der Krise

Das sind die historischen Quellen, aus denen sich nun die Euro-Krise speist. Ohne die politische Verzahnung verstärkte sich nämlich das wirtschaftliche Auseinanderklaffen zwischen den Staaten der Währungsunion. Unter den geltenden Regeln hätten weder Griechenland noch Spanien noch Portugal Mitglied der Euro-Zone werden dürfen - vielleicht nicht einmal Italien. Dass dies doch aus politischem Kalkül passierte, schlägt nun mit voller Wucht auf die Union zurück. Die Politik des lauen Kompromisses, auf die man auch noch stolz war, ist dafür verantwortlich. Je eher sich Europa diese Tatsache eingesteht, desto besser für die drastischen Schritte, die nun gesetzt werden müssen.

Wie die Union überleben kann

Die Währungsunion kann nur überleben, wenn es in Jahresfrist verbindliche Pläne für eine Form der Vereinigten Staaten von Europa gibt, mit einer wirklich entscheidungsfähigen zentralen Steuerungsstruktur und einem System wirtschaftlichen Zusammenhalts, dem Investoren auch Stabilität zuschreiben können. Dies beinhaltet nicht nur Gemeinschaftsanleihen, sondern auch wirtschaftliche Umverteilungsmechanismen, welche die Euro-Randzonen realwirtschaftlich stabilisieren.

Wo nicht, bricht die Eurozone unter Milliardenverlusten für alle Nationen auseinander, gefolgt von einem Kerneuropa des Euro und einer EU-Peripherie von Drachmen-, Peso- und Escudo-Staaten. Diese Peripherie wird sich auf Jahre hinaus nicht mehr von ihrem Bankrott erholen. Ihre in Euro angelegten Staatsschulden würden sich bei Abwertung der eigenen neuen Währung vervielfachen.

Das hätte als mildeste Konsequenz den Zusammenbruch wichtiger Exportmärkte für die EU-Lokomotive Deutschland zur Folge. In der Logik einer volkswirtschaftlichen Kettenreaktion hat ein Einbruch der deutschen Konjunktur desaströse Folgen für Österreichs Exporte nach Deutschland (30 Prozent aller Exporte gehen in die Bundesrepublik). Wie gesagt, wir reden hier noch vom harmlosesten Szenario und schweigen über einem ebenso möglichen Einbruch der Weltwirtschaft.

Europas Politik steht vor den wichtigsten Entscheidungen seit Gründung der Union. Es geht um die Vernichtung oder Erhaltung eines großen Teils seines ökonomischen und politischen Kapitals. Europa braucht einen Kraftakt.

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