Europa ist wieder im Gespräch

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Die lange genug aufgeschobene Europa-Diskussion kommt nach der deutschen Wahl wieder in Schwung. Das Gipfeltreffen der Staatschefs im estnischen Tallinn signalisierte zumindest die gute Absicht, verloren gegangenes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU zurückzuerobern. Erfreulicherweise gibt der quer durch Europa spürbare wirtschaftliche Aufschwung den notwendigen Rückenwind. Nachdem es allzu lange im Gerede war, kommt Europa endlich wieder ins Gespräch.

Die Unions-Idee ist noch immer attraktiv - aber ihre Ausstrahlung hat unter den Folgen der Finanz-und Euro-Krise Krise gelitten. Erschwerend kommt hinzu, dass das dritte Sonderproblem, die als Folge einer seit Jahrzehnten grundlegend verfehlten Nahost-und Afrikapolitik entstandene Migrationskrise, mit Geld und institutionellen Umbauten allein in überschaubarer Zeit nicht lösbar ist. Die mangelnde Bereitschaft zu solidarischen Lösungen und das Fehlen glaubwürdiger Strategien zur Vermeidung weiterer, unkontrollierter Flüchtlingsströme zerrütteten den Glauben an einen wenigstens minimalen europäischen Zusammenhalt in Zeiten der Bedrängnis.

Die Zeit, in der die Dynamik ständiger Erweiterungen Fragen nach den tatsächlichen Kern-Inhalten der Europapolitik verdrängen konnte, ist vorbei. Frühere Baumeister der EU wie Jacques Delors konnten in krisenhaften Situationen noch mit dem Bild vom europäischen Fahrrad vertrösten, das in Schwung bleiben muss, wenn es nicht umfallen soll. Heute beruhigt das niemanden mehr. Denn solange die Richtung nicht klar ist, steigt man besser vom Fahrrad ab und orientiert sich neu.

Nachhaltige Friedenspolitik

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ging vor kurzem als erster aus der Deckung. Sein Plädoyer für die Erweiterung der Euro-Zone um Rumänien und Bulgarien und die Ausdehnung des Schengen-Raums klang jedoch zu sehr nach "Weitermachen wie bisher". Umso wichtiger ist der weit ausgreifende Reformentwurf, mit dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch vor Beginn der wohl reichlich komplizierten deutschen Koalitionsverhandlungen wieder neuen Schwung in die europäische Debatte brachte. Während die von ihm vorgeschlagenen Schritte in Richtung einer Fiskalunion wohl aus guten Gründen keinen raschen Konsens finden werden, stößt sein Appell für mehr sicherheitspolitische Kooperation Türen auf.

Überraschend und höchst verfolgenswert erscheint mir Macrons Vorschlag, die seit Jahren geplante und zuletzt wieder schubladisierte Idee einer Finanztransaktionssteuer endlich umzusetzen und deren Erlöse in einen substantiellen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsplan für Afrika und den Nahen Osten zu investieren. Nachdem sich Europas Politiker zuletzt der amerikanischen Forderung nach Aufrüstung und noch höheren Militärausgaben völlig unkritisch zu fügen schienen, könnte hier endlich ein alternativer Ansatz für ernsthafte und nachhaltige Friedenspolitik liegen. Diese allein kann Europa langfristig vor weiteren, unbeherrschbaren Migrationswellen bewahren.

Während die von Macron vorgeschlagenen Schritte Richtung Fiskalunion keinen raschen Konsens finden werden, öffnet sein Appell für sicherheitspolitische Kooperation Türen.

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