Europa trägt Kohls Handschrift

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Alois Mock, früherer österreichischer Außenminister und Vizekanzler, Helmut Kohl seit langen Jahren in Freundschaft verbunden, bilanziert für die Furche eine eben zu Ende gegangene Ära der deutschen und europäischen Politik.

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Alois Mock, früherer österreichischer Außenminister und Vizekanzler, Helmut Kohl seit langen Jahren in Freundschaft verbunden, bilanziert für die Furche eine eben zu Ende gegangene Ära der deutschen und europäischen Politik.

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Historisch" als Bezeichnung für ein politisches Ereignis oder eine bedeutende Persönlichkeit ist ein oft mißbrauchtes Wort. Nur allzu oft ist bereits nach wenigen Jahren das historische Ereignis oder die historische Person wieder vergessen, weil Ereignis oder Person dem Anspruch der geschichtlichen Dimension nicht gerecht wurden, letztlich nur Augenblickswert hatten.

Wenn eine Person der Gegenwart diese Bezeichnung schon heute verdient, so ist dies der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Es gehört zu den eigenen Gesetzmäßigkeiten des politischen Lebens, daß gerade jene Bürger Kohl die Gefolgschaft verweigerten, die seiner Zielstrebigkeit verdanken, daß das ehemals konkursreife Ostdeutschland heute - trotz vieler sozialer und wirtschaftlicher Übergangsschwierigkeiten - voll integrierter Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist. Aber Dank ist keine politische Kategorie.

Helmut Kohl hat nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks und damit der DDR mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit die Chance der Stunde wahrgenommen und die Wiedervereinigung der beiden Deutschlands mit dem richtigen Augenmaß, der notwendigen Konsequenz und der besonderen Rücksichtnahme auf die Nachbarstaaten realisiert. Diese Vorgangsweise spiegelt ein hohes Ausmaß an politischer Erfahrung, eine besondere Kenntnis der Geschichte und eine seltene politische Sensibilität wider.

Als Gorbatschow in Moskau die Perestroika- und Glasnost-Bewegung verkündete, leitete er damit nicht nur einen Umbruch der wirtschaftlichen und politischen Strukturen in der Sowjetunion ein (eine Entwicklung übrigens, von der wir heute noch nicht wissen, zu welcher politischen Architektur sie letztlich führen wird); sondern die Perestroika- und Glasnostbewegung führte letztlich auch dazu, daß Europa vom Eisernen Vorhang bis zum Ural innerhalb weniger Monate zu einer Neugestaltung der politischen Landkarte aufbrach.

Helmut Kohl hat nicht nur in weltpolitischen Zusammenhängen gedacht und gehandelt, sondern er verfolgte immer auch eine klare grundsatzpolitische Linie. Er war davon überzeugt, daß sich die Demokratie verteidigen muß, weil sonst die Freiheit verloren geht. Für ihn gab es keine, auch nicht punktuelle, Konvergenz mit links- oder rechtsextremen Systemen. In Grundsatzfragen ging er mit der kommunistischen Führung in der DDR keine Kompromisse ein.

Die weltpolitische Wende von 1989 mit dem Untergang des kommunistischen Systems brachte auch Unruhe mit sich, eine Unruhe, die mit jedem Übergang verbunden ist. Das zeigt sich derzeit einmal mehr in Rußland, das seit Jahren mit einer Neuordnung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen kämpft.

Auf Europa, wo Helmut Kohl die beiden letzten Jahrzehnte besonders prägend und gestaltend gewirkt hat, kommt jetzt mit der weiteren Konsolidierung der Europäischen Union (und dazu zählen die Erweiterung und Vertiefung ebenso wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) eine ganz besonders wichtige Aufgabe zu.

Die Gründerväter der europäischen Gemeinschaft, Schuman, Monnet, de Gasperi und Adenauer hatten nach den Katastrophen der beiden Weltkriege und angesichts der Gefahr eines expansionistischen Kommunismus ein zentrales Ziel: die europäischen Völker zu bewegen - und dieser Prozeß mußte freiwillig geschehen - sich zusammenzuschließen, damit nationale Kriege nicht mehr möglich sind und Gefahren gemeinsam bekämpft werden.

So kam es 1951 zur Gründung der Montanunion. Kohle und Stahl waren damals aus dem Zeitverständnis heraus die wichtigsten Instrumente, um Kriege zu führen. Sie wurden daher der nationalen Souveränität entzogen und einer gemeinsamen Verwaltung unterstellt. Alsbald, 1957, wurde daraus eine Wirtschaftsgemeinschaft. Mit der Weiterentwicklung zur Wirtschafts- und Währungsunion wurde nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Gebilde geschaffen. Die Unterzeichnung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Union im Jahre 1992 bedeutete daher einen weiteren Qualitätssprung.

Daß der europäische Integrationsprozeß in den letzten Jahren diese dynamische Entwicklung bis hin zur Einführung der gemeinsamen Währung, des Euro, nehmen konnte, ist gerade auch das Verdienst von Helmut Kohl, der zum Motor des europäischen Einigungsprozesses wurde, ohne dessen Energie, Dynamik und Stabilität dieser Prozeß und in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen wäre.

Das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft mit starken ökologischen Akzenten muß Orientierung für ein neues politisch geeintes Europa sein. Helmut Kohl sah in diesem Konzept die Fortführung eines Vermächtnisses, das Konrad Adenauer hinterlassen hat. Und es war sein Ziel, daher stellte er sich jetzt noch einmal der Wahl, den Integrationsprozeß nicht nur voranzutreiben, sondern unumkehrbar zu machen.

Die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs, die Leiden, die Deutsche über andere Völker und Menschen brachten und die das deutsche Volk selbst ertragen mußte, machten Helmut Kohl zum überzeugten Europäer.

Helmut Kohl war ein zutiefst "politischer" Regierungschef. Ich schreibe das sehr bewußt, weil für viele gar nicht vorstellbar ist, daß einem Regierungschef unterstellt werden kann, eine "unpolitische" Persönlichkeit zu sein. Ich habe aber sehr wohl so manche unpolitische Persönlichkeit kennengelernt, die an der Spitze einer Regierung stand. Das Resultat der Politik sah dementsprechend aus.

Die Politik des Christdemokraten Helmut Kohl unterlag nicht dem Alltags-Opportunismus, sondern war davon geprägt, daß klare Wertvorstellungen und ein festes Weltbild notwendig sind, um eine überzeugende Linie zu vertreten. Sicherlich hat dazu auch beigetragen, daß die Orientierungshilfe für seine Politik nie die letzte Meinungsumfrage war, sondern das, von dem er überzeugt war, daß es für das Land und seine Bürger das Richtige ist.

Das heutige Europa trägt die Handschrift Kohls. Er ist eine historische Größe. Ob der 27. September 1998 eine "historische Wende" war, wie manche in der Wahlnacht zu verkünden glaubten, wird erst - und das nach geraumer Zeit - die Realität zeigen.

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