Europäische Angst und türkische Freiheit

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Das Filmfestival "Crossing Europe", das vom 25. bis 30. April in Linz stattfindet, sucht nach filmischen Antworten zur Krise Europas.

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Das Filmfestival "Crossing Europe", das vom 25. bis 30. April in Linz stattfindet, sucht nach filmischen Antworten zur Krise Europas.

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Viel ist im letzten Jahr von gespaltenen Nationen die Rede - ob Brexit, US-Wahl, österreichischem Präsidentschaftsvotum oder soeben in der Türkei. Was steht gesellschaftlich hinter einem Ergebnis von 51 zu 49 Prozent? Im Lichte folgenreicher Wahlgänge sucht Crossing Europe diesmal auch dazu nach filmischen Antworten.

Die Positionen zur Türkei, die vom 25. bis 30. April Teil des Programms der Linzer Schau sind, werfen aber eine weitere Frage auf: Wie wird, wie kann es mit dem dortigen Kino weitergehen? Kernbeispiel des Festivals ist die Autorenfilmerin Yes im Ustaog lu, deren jüngstes Werk "Clair Obscur" Teil eines ihr gewidmeten Spotlights ist.

Zwei Frauen besetzen darin die diametral entgegengesetzten Pole der Gesellschaft - die eine Psychiaterin, westlich in Lebensstil wie Beziehungen, die andere ein halbes Kind, verheiratet an einen viel älteren Mann, um dessen Mutter zu pflegen und Kinder zu bekommen. Ein entsetzlicher Vorfall führt die Frauen zusammen -beide Gefangene, wenn auch nach völlig anderer Definition. Schönes und Unangenehmes zieht sich durch Ustaog lus Laufbahn, manchmal auch Tagespolitisches, wenn ihre ebenfalls gezeigte Versöhnungsarbeit "Journey to the Sun" einst zum Epizentrum schwerer Kurdenproteste geriet.

Schwieriges Filmemachen in der Türkei

Wie Unbequemlichkeit auch jeweils gefasst sein mag: Als ausgesuchtes Ziel der Säuberungswellen nach dem gescheiterten Putsch traten Filmschaffende nicht in Erscheinung. Jedoch verschlechtern sich die Bedingungen für sie schon länger. So gab Ceylan Özgün Özçelik, die Regisseurin des einzigen türkischen Beitrags auf der heurigen Berlinale, zu Protokoll, dass sie die Förderzusage vom Kulturministerium jetzt auf keinen Fall mehr erhalten würde. Ein anderes Instrument ist das Registrierungszertifikat. Mit dem Hinweis, dass dieses fehle, wurde 2015 beim Istanbuler Filmfestival eine PKK-Doku aus dem Wettbewerb verbannt -worauf 20 Regisseure ihre Werke aus Protest zurückzogen.

Aktuell, sogar tagesaktuell

Das eine ist es, inopportunes Kino im Land zu zeigen, das andere, es überhaupt noch machen zu können. "Dil Leyla" etwa wurde in Deutschland produziert. Die Kreuzköllnerin Aslı Özarslan porträtiert darin Leyla Imret, die junge Bürgermeisterin der Kurdenhochburg Cizre, die sich ihrem Volk und dessen Schicksal verpflichtet fühlt. Unweit davon, in den Bergen, trainieren die PKK-Kämpferinnen aus dem deutsch-kanadischen "Gulîstan, terre de roses". Zum Eindruck von Guerillaleben und Truppenmoral kommt auch eine Lektion in Gleichstellung, ja Feminismus: "Wo beginnt die Freiheit? Sie beginnt mit der Frau" - beim Thema Türkei gilt selbiges für Crossing Europe.

Im benachbarten Griechenland tut sich ein weiterer Themenkomplex auf. "Amerika Square" will kein "Casablanca" sein, liebäugelt aber damit, wenn er am Brennpunkt der Migration drei Geschichten verwebt, eine davon über einen Fremdenhasser, der zur Tat schreitet.

Die europäische Angst von "Chez nous" wiederum könnte pünktlich zur ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen kaum tagesaktueller sein. Regisseur Lucas Belvaux sorgte mit dem gespenstischen Zwilling von Marine Le Pen und der Front National für einen Skandal. Noch wichtiger ist in dem Thriller aber die brave Bürgerin, die vom alten faschistischen Wein in neuen Schläuchen verführt wird.

Auch ein niederländisches Gegensatzpaar liegt thematisch nahe: Während "Miss Kiet's Children" ein Jahr lang eine Lehrerin begleitet, die aufopferungsvoll irakische und syrische Flüchtlingskinder betreut, sollen die Migranten in "Stranger in Paradise" nur deshalb Mathematik lernen, um sich unerwünscht zu fühlen.

Umgesetzt wird Bildung in Linz allerdings nicht nur filmisch: Erstmals gibt es mit "Schule @Crossing Europe" ein diesbezügliches Vermittlungsprogramm - ein neuer Mosaikstein in der Suche, die das Festival ausmacht: jene nach europäischen Angelegenheiten, und dannach, in welchen Dimensionen diese gedacht werden müssen.

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