Europäischer Islam steht noch am Anfang

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GASTKOMMENTAR. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an Muslimen in Europa wird die Frage, wie ein europäisch geprägter Islam aussehen kann, immer dringlicher. Das verdeutlichen auch aktuelle, zur Besorgnis Anlass gebende Entwicklungen in Österreich.

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GASTKOMMENTAR. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an Muslimen in Europa wird die Frage, wie ein europäisch geprägter Islam aussehen kann, immer dringlicher. Das verdeutlichen auch aktuelle, zur Besorgnis Anlass gebende Entwicklungen in Österreich.

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Mehr als sechs Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung sind Muslime, laut Studien soll der Anteil bis 2050 auf fast zehn Prozent anwachsen. Laut aktuellen Schätzungen sind ungefähr 700.000 der 8,7 Millionen Menschen in Österreich Muslime, Tendenz stark steigend. Szenarienanalysen gehen davon aus, dass ihr Anteil in den nächsten 30 Jahren auf bis zu ein Viertel der Gesamtbevölkerung steigen könnte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Integration der zahlreichen Muslime besser gelingen kann. Jüngste Entwicklungen verdeutlichen ein Problem, das ganz Europa betrifft: Unter Muslimen, insbesondere auch jenen, die erst vor kurzem gekommen sind, gibt es oft ein deutliches Missverhältnis zwischen theoretischer Zustimmung zu einem europäischen, rechtsstaatlichen Wertekonzept und dessen praktischer Bedeutung für das eigene Leben. So ergab eine Anfang 2017 unter Syrern, Afghanen und Irakern durchgeführte Erhebung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dass Flüchtlinge die Demokratie weitgehend als beste Staatsform sehen. Gleichzeitig sind aber über ein Drittel der Meinung, dass religiöse Gebote über staatlichen Gesetzen stehen. Vier von zehn Befragten erachten die Gleichberechtigung von Mann und Frau als nicht notwendig. Angesichts dieser Erkenntnisse gewinnt eine Frage zunehmend an Dringlichkeit: Wie viel Europa braucht der Islam?

Vermischung von Islam und Politik

Derzeit gibt es kein klares Bild davon, was den Islam in Europa und Österreich ausmacht und wer für ihn sprechen kann. Häufig kommen die Meinungsführer der öffentlichen Debatte von den extremen Rändern islamischer Strömungen. Ihr Ziel ist zu oft nicht das Ankommen der Muslime in Europa, sondern die Durchsetzung eigener Interessen. Auch die politischen Einflüsse aus Herkunftsländern durch und auf islamische Verbände und Organisationen in Europa wirken fatal. Die problematische Vermischung von Islam und Politik ist immer stärker sichtbar wie bei Demonstrationen von AKP-Sympathisanten, die von "Allahu Akbar"-Rufen geprägt sind. Inhaltlich werden viele praktische Themen wie etwa Fragen zum Schwimmunterricht für muslimische Mädchen, zur Verschleierung von Frauen oder zur Sexualität oft mit einem Verweis auf die Religionsfreiheit für unantastbar erklärt.

Das gilt zum Beispiel auch für die Verschleierung von Frauen durch den Konfliktstoff Kopftuch. Von muslimischer Seite wird die Diskussion darüber häufig als unbedeutende Symboldebatte abgetan. Zugleich veröffentlicht die gesetzliche Vertretung des Islam in Österreich, die Islamische Glaubensgemeinschaft, in einer aktuellen Fatwa ihre Vorstellungen zur Verschleierung der Frau: "Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten der Füße, ein religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspraxis", heißt es darin. Wie eine solche Argumentation mit einem freien und selbstbestimmten Leben der Frau in einer modernen Gesellschaft vereinbar ist, bleibt tatsächlich schleierhaft.

Diese Debatten schaden dem Fortschritt des Islam in Europa und dessen Bild in der Öffentlichkeit enorm und führen bei der Bevölkerung zu einem Gefühl der Verunsicherung. Religionsfreiheit hat Grenzen, die klar festzulegen sind. Der Rechtsstaat ist der Maßstab für das Zusammenleben. Mit dem 2015 adaptierten Islamgesetz wurden in Österreich Grundlagen für ein besseres Ankommen des Islam geschaffen. Neben dem gesetzlichen Anspruch auf islamische Seelsorge etwa beim Militär, in Krankenhäusern und in Gefängnissen definiert es auch ein Verbot der Finanzierung der Religionsgesellschaft aus dem Ausland. Diese Maßnahmen sind allerdings nur Teile einer Lösung für die Zukunft.

Die steigende Zahl der moderaten und aufgeklärten Stimmen im Islam findet in Österreich wie in Europa zu wenig Gehör. Gemäßigte Kräfte, die für einen europäisch geprägten, moderaten und toleranten Islam eintreten, müssen gestärkt werden. Dazu bedarf es auch der Entwicklung einer europäischen islamischen Theologie als Fundament. In Österreich wurde mit der Einführung von Lehrstühlen für islamische Theologie an den Universitäten ein Grundstein dafür gelegt. Letztendlich kann das Zusammenleben in Österreich nur auf der Basis eines aufgeklärten Islam gelingen. Dieser steht noch am Anfang eines langen Weges.

Der Autor ist Geschäftsführer des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF)

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