Europas "Leben in Lüge"

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"Versuch, in der Wahrheit zu leben" lautet der programmatische Titel jenes Essays des ÇCSSR-Häftlings Václav Havel aus 1978, der ein Überlebenstext für Dissidenten im "posttotalitären" (© Havel) System des Ostblocks war, und auch von denkenden Zeitgenossen im Westen als Grundtext politischen Anstands angesehen wurde: Havel ging es um ein "Leben in Wahrheit", für das er - auch unter den Bedingungen seines damaligen Regimes - optierte, und das er einem "Leben in Lüge" unbedingt vorzog.

Nun, mehr als ein Vierteljahrhundert und mehrere Amtsperioden als Staatsoberhaupt seines Landes später, ließ Havel in europäischen Zeitungen (hierzulande am 31. Jänner im Standard) in alter Manier aufhorchen: Er las der eu die Leviten, weil diese ihre 2003 herabgestuften diplomatischen Beziehungen zu Kuba "normalisieren" wolle. Das, zürnte Havel, bedeute, künftig würden die Gästelisten der eu-Botschaften in Havanna mit der kubanischen Regierung akkordiert, Dissidenten würden also nicht mehr zu Botschaftsempfängen eingeladen. Tatsächlich hat Kuba bereits im Dezember die Beziehungen zu acht eu-Staaten wieder aufgetaut, weil diese sich zu solcher Vorgangsweise bereitfanden. Man ist wenig überrascht, aber dennoch betroffen, dass Österreich zu diesen europäischen "Vorreitern" gehört.

Havels Aufschrei kam vor dem jüngsten eu-Außenminister-Treffen, und wirklich wurde dort eine Teil-Normalisierung der Beziehungen zu Kuba beschlossen, allerdings - ein Erfolg der Havel-Intervention? - mit wortreichen Beteuerungen, dass die eu weiter auf Kontakte zur kubanischen Opposition poche.

Man mag Havels Ansinnen als naiv abtun. Aber - ob im Umgang mit China, Putins Russland oder allen möglichen Potentaten: Neben Kuba gibt es jede Menge anderer Schauplätze, wo diplomatische Rücksichtln zum Verrat an Europas viel beschworenen Werten werden.

otto.friedrich@furche.at

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