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Kant als Erneuerer des Völkerrechts und "Ahnherr der UNO".

Kants kleine Schrift "Zum ewigen Frieden" (1795) wurde noch zu seinen Lebzeiten ein Bestseller. Unmittelbarer Anlass der Schrift war der Friedensvertrag zwischen Preussen und dem revolutionären Frankreich, das damit zumindest vom Vertragspartner völkerrechtlich anerkannt wurde. Kant, ein Anhänger der Revolution, begrüßte diesen Schritt.

Französische Revolution

Kant war aber vor allem ein systematischer Denker. Die Schrift bietet deshalb keine polemische Propaganda für Frankreich; Kant geht es um etwas Prinzipielles, um die Festlegung völkerrechtlicher Grundsätze, die eine globale Friedensordnung möglich machen sollen.

Was ist nun so revolutionär an der Friedensschrift, und worin liegt ihre bleibende Bedeutung? Revolutionär ist sie in dreifacher Hinsicht: Kants Völkerrecht markiert den Übergang vom Kriegs- zum Friedensrecht. Er übernimmt den Begriff der Souveränität aus dem Staats- und Völkerrecht seiner Zeit, versteht ihn aber im Sinne der Volkssouveränität. Drittens modifiziert Kant das klassische Völkerrecht, das vor allem ein Recht zwischen den Staaten war, durch das Weltbürgerrecht.

Das Grundprinzip des Kantischen Kosmopolitismus lautet "Frieden durch Recht", präziser die "Verrechtlichung alle konfliktträchtigen Beziehungen in der Welt der äußeren Freiheit" (Wolfgang Kersting). Kant fordert also eine Veränderung der rechtlichen Struktur internationaler Beziehungen: der sogenannte Naturzustand, der "nicht-rechtliche Zustand" zwischen den Staaten, sei ein permanenter Kriegszustand. Er soll deshalb verlassen werden. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, zeigt in Wirklichkeit Kants Differenz zu seinen Zeitgenossen auf, die dazu tendierten, die zwischenstaatliche Anarchie zu verharmlosen. Die 'Hegung', d. h. die Begrenzung und Humanisierung des Krieges war der Hauptzweck des damaligen Völkerrechts.

Frieden durch Recht

Eine Verharmlosung der Staatenanarchie war nach dem Ersten Weltkrieg argumentativ nicht mehr möglich. Als symptomatisch kann gelten, dass damals selbst nüchterne Völkerrechtler wie der Österreicher Heinrich Lammasch an Kant anknüpften. Kant gehörte zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges. Das sollte sich nach 1945 wiederholen.

Die intensivierte Auseinandersetzung mit Kant machte auf ein zentrales Problem seiner Schrift aufmerksam, das bis heute diskutiert wird. Es ist im zweiten Definitivartikel enthalten. Befürworter eines - meist mit minimalen Befugnissen ausgestatteten - Weltstaates argumentieren, nur mit diesem sei ein echter globaler Rechts- und damit Friedenszustand gestiftet. So etwa der in Tübingen lehrende Otfried Höffe: Ein Rechtszustand sei durch Legislative, Jurisdiktion und eine effiziente Exekutive mit Gewaltmonopol gekennzeichnet; in diesem Sinne sei die heutige UNO. zu reformieren. Kritiker befürchten den Despotismus eines globalen Leviathan. Beide Parteien finden für ihre Positionen gute Argumente bei Kant.

Republiken sind friedlicher

Auch mit seiner zweiten Neuerung, der These von der friedensfördernden Wirkung des Republikanismus, regt Kant seit Jahren Diskussionen an. Die umstrittene These wird im ersten Definitivartikel von "Zum ewigen Frieden" entfaltet. Das neue Paradigma des Völkerrechts lautet: durch Republikanismus, d.h. durch Volkssouveränität zum Frieden.

Politologen, vor allem Michael Doyle, haben in Anschluss an Kant versucht, mit Hilfe von statistischem Material die These von der Friedfertigkeit moderner demokratischer Rechtsstaaten zu belegen. Kritiker betonen, Kants Forderung nach Mitbestimmung der Bürger sei auch in den westlichen Demokratien noch nicht erfüllt. Der Politologe Ernst-Otto Czempiel formuliert: "Die, die die Last des Krieges zu tragen haben, werden an der Entscheidung nicht beteiligt, und die, die sie treffen, haben unter deren Folgen nicht zu leiden." Die 'democratic peace proposition' wurde vor allem während Clintons Amtszeit als Präsident der USA intensiv diskutiert; mittlerweile ist der Enthusiasmus der Befürworter etwas verflogen.

Dafür hat eine andere Gruppe Aufwind bekommen, die sich auch gerne auf Kant beruft: die Globalisten, die Kants dritten Definitivartikel über das Weltbürgerrecht als Ausgangspunkt ihrer Friedensmodelle nehmen. Jürgen Habermas sieht im angedeuteten Übergang vom Völker- zum Weltbürgerrecht die zentrale und "folgenreiche Innovation" der Friedensschrift. Der Artikel postuliert auf einer Ebene, die traditionell nur Staaten und internationale Organisationen als Rechtssubjekte kannte, das Individuum als Träger eigener Rechte, und zwar unabhängig vom jeweiligen Staatsrecht und dem positiven Völkerrecht. Manche Interpreten sehen die Stiftung einer weltbürgerlichen Gesellschaft als Ziel des Kantischen Weltbürgerrechts.

Rechte des Individuums

Kants systematischer Zugang, sein differenziertes Denken und sein Problembewußtsein machen ihn zu einem anregenden und kompetenten Gesprächspartner. Im 20. Jahrhundert wurde er als "Ahnherr der UNO" gepriesen; heute ist der rechtsphilosophische Kant in verschiedenen Disziplinen - politische Philosophie, Politologie und Völkerrechtslehre - der Klassiker geworden, auf den sich viele gerne berufen.

Der Autor ist AHS-Lehrer und Dozent für Neuere Geschichte an der Universität Wien.

Kantkongress in Wien

Zu den Stichworten "Recht - Geschichte - Religion" veranstaltet die Österreichische Akademie der Wissenschaften von 4. - 6. März 2004 ein internationales Symposium über die Bedeutung Kants für die Philosophie der Gegenwart. Eröffnungsredner ist Jürgen Habermas, weitere Referenten sind u. a. Axel Honneth (Frankfurt) und Volker Gerhardt (Berlin).

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