Exerzitien in Kletterpatschen

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Das Tourenbuch des Kärntner Generalvikars Engelbert Guggenberger verbindet gekonnt das Wagnis Klettern mit dem Abenteuer Glauben. Bergerfahrung und Seilerfahrung widersprechen der Glaubenserfahrung nicht.

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Das Tourenbuch des Kärntner Generalvikars Engelbert Guggenberger verbindet gekonnt das Wagnis Klettern mit dem Abenteuer Glauben. Bergerfahrung und Seilerfahrung widersprechen der Glaubenserfahrung nicht.

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Man hat sie "Gletscherpfarrer" oder "Bergbischof" oder gar "il papa alpinista" genannt - jene Priester, die das "Näher, mein Gott, zu dir" nicht nur gesungen, sondern wörtlich genommen haben und hinauf gewandert, gestiegen, geklettert sind. Einige dieser Berg-Geistlichen haben ihre Touren als spirituelle Inspirationsquellen genutzt und beschrieben. Hierzulande am bekanntesten der 2013 verstorbene Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher und seine "Botschaft der Berge".

Mit seinem Tourenbuch "In der Vertikale. Was mich zwischen Himmel und Erde hält" steigt der Generalvikar der Diözese Gurk, Engelbert Guggenberger, ebenfalls in diese klerikalen Bergschuhstapfen. Und die sind ihm - soviel vorneweg - keineswegs zu groß, obwohl er nicht mit schweren Bergstiefeln, sondern mit leichten Kletterpatschen und ohne grobes Profil, sondern mit glatter Klettersohle unterwegs ist.

Spannung und Lebensfreude

Guggenberger ist ein Genusskletterer auf sehr hohem Schwierigkeits-Niveau, dem eine Kapitelüberschrift seines Buches zum Lebensmotto geworden ist: "Ohne Spannung keine Lebensfreude." Damit steht Guggenberger in der Tradition eines Großen der Alpingeschichte: Eugen Guido Lammer. Dieser war beim Zeitenwechsel vom vorletzten ins letzte Jahrhundert einer der ersten, der um der Intensität des Erlebnisses willen in die Berge stieg und die Schwierigkeiten und Gefahren bei ihrer Besteigung - "Nervenpfeffer" sagte er dazu - als Quelle der Selbsterfahrung nützte. Denn, so Lammer, "gerade das Tiefbohrende, Aufwühlende zeichnet den Alpinismus aus vor allem verwandten Tun. Wann würde ein Segler, Autler (Automobilist, Anm.) oder Weidmann veranlasst, in seinen Sportblättern über allerlei philosophische Urgrundfragen zu grübeln, wie es jeder zweite Bergsteigeraufsatz tut? Nur wir blicken eben bei jedem Bergschrund, und in jeder Nebeleinsamkeit in die unergründlichen Sphinxaugen der Mona Lisa, wir schauern ahnend vor unermessbaren Schlünden unserer Seele."

Diese unermessbaren Schründe und Schlünde, die alpinen wie die seelischen, sind das übergreifende Thema von Engelbert Guggenbergers Buch. Dem Sohn eines Hüttenwirte-Ehepaars in den Karnischen Alpen ist die Kletterleidenschaft quasi in die Wiege gelegt worden. Nicht zur großen Freude der Mutter, doch gefördert vom bergbegeisterten Vater hat sich Guggenberger mit seinem Bruder in den heimatlichen Bergen die ersten Sporen erklettert und die zu ungestüm wachsenden alpinen Ehrgeiz-Hörner abgestoßen.

Nähere alpinistische Umgebung

Der Region bleibt er als Kletterer treu. Guggenbergers Touren beschränken sich auf die Karnischen und Julischen Alpen sowie die Dolomiten. Dort aber schraubt er die Schwierigkeitsstufen seiner Begehungen weit nach oben. Die Schlüsselstellen mehrerer klassischer Routen mit klingendem Namen in seinem Tourenbuch weisen den Schwierigkeitsgrad VIII auf, für den es formal "keine wörtliche Entsprechung" mehr gibt. Bereits der VII. Grad steht für "außergewöhnliche Schwierigkeiten", zu deren Überwindung akrobatisches Klettervermögen und ausgefeilte Sicherungstechnik unerlässlich sind.

Beides beherrscht Guggenberger aus dem Effeff. Zudem besitzt der Lesachtaler das schreiberische Talent, die sportlichen Herausforderungen seiner Aufstiege mit nichts als Luft unter den Sohlen (auch für Kletter-Laien) gut nacherzählen zu können. Aber die Vertikale aus Fels geht dem Generalvikar nicht hoch genug. Der Geistliche schaut über die Felsgipfel hinaus und sucht nach der geistigen Dimension des Bergsteigen und Kletterns. Das ist mindestens so schwer wie seine Felsakrobatik, denn auch für diesen spirituellen Schwierigkeitsgrad gibt es gemeinhin "keine wörtliche Entsprechung". Teilweise kommt Guggenbergers letzter Klimmzug zu Gott auch sehr erwartbar und zu selbstverständlich daher, und klerikaler Predigerton legt sich über die wilde, schnaufende, schweißtreibende Gottsuche mit wundgescheuerten Fingern und schlackernden Knien in der Senkrechten.

Und der Rezensent fürchtet um den Kletter-Pfarrer, dass sein luftiger Quergang zu Gott misslingt, dass er abstürzt und sich mit ausgetretenen, breiten Wegen begnügt Doch plötzlich findet der Autor im spirituellen Überhang wieder einen Griff, einen Tritt oder ein Hölderlin, Rilke, Handke, Schubert, Augustinus, Gryphius, ja selbst ein Herkules geben Seilzug und der Aufschwung "näher, mein Gott, zu dir" gelingt.

Ein erfülltes (Kletter-)Leben

Eine selbst für atheistische Kletterer göttliche Erfindung ist der sogenannte "Friend", ein mechanisch-größenverstellbarer Sicherungskeil, der, in Felsrissen verklemmt, so manchen Absturz verhindert oder gebremst hat. Auch Guggenberger vertraut auf diese "Friends". Zudem hat er aber das Glück, Freundinnen und Freunde aus Fleisch und Blut und mit großem Kletterkönnen bei seinen Touren dabeizuhaben, die ihn zwischen Himmel und Erde halten und den Höhenflieger, wenn es Not tut, auf den Boden holen.

Insofern beschreiben die 14 Vertikal-Kapitel auch 14 Mal die horizontale, zwischenmenschliche freundschaftliche Dimension eines erfüllten (Kletter-)Lebens, das im "Näher zu dir" - so die Hoffnung wie Quintessenz von Guggenbergers Kletter-Exerzitien - seinen höchsten wie schönsten Gipfel finden wird: "Geht auch die schmale Bahn aufwärts gar steil, / Führt sie doch himmelan zu meinem Heil."

In der Vertikale

Was mich zwischen Himmel und Erde hält,

Von Engelbert Guggenberger, Styria 2017.192 S., Hardcover, € 24,90

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