Exilforschung musste ins Exil

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Der finanziell ausgehungerte Orpheus Trust kann in Wien nicht weiterarbeiten.

Archivierung und Information über Musiker, die während des "Dritten Reichs" verfolgt oder ermordet wurden: Dieser Aufgabe hat sich der Orpheus Trust zehn Jahre lang gewidmet. Das betrifft jüdische Komponisten bekannter Schlager, denen niemals Tantiemen ausbezahlt wurden, ebenso wie hoch qualifizierte Geiger, die flüchten mussten oder starben.

Für die große Mehrheit der emigrierten Musikschaffenden gab es auch nach 1945 kein Zurück mehr. Über Jahrzehnte hinweg wurden die künstlerischen Dokumente dieser Menschen mit großer Unachtsamkeit behandelt, eine archivarische Aufarbeitung fand nicht oder nur mangelhaft statt. Durch die lange Zeitspanne sind viele wichtige Arbeiten verloren gegangen, Nachlässe zerstreut oder zerstört.

Mit einer umfangreichen Werkdatenbank war der Orpheus Trust zehn Jahre lang der Hauptansprechpartner für Wissenschafter, Pädagogen, Interpreten und Interessierte am Thema. Neben der Archivierung war die Kontaktpflege mit Exilanten und ihren Angehörigen ein wichtiger Ansatz, um die Musiker vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Die Aufarbeitung des Materials war aber immer mehr zur Selbstausbeutung geworden, die erhoffte Anhebung der Subvention des Bundeskanzleramts blieben aus, die finanzielle Situation war nicht länger tragbar.

Im August 2006 fiel die Entscheidung, den Orpheus Trust aufzulösen, da die Arbeit nicht weiterführbar war, trotz der ehrenamtlichen Hilfe vieler Mitglieder des Vereins. Die Datenbank und das Material - die Nachlässe, Werkkopien, Tonaufnahmen, Kompositionen und biografische Zeugnisse - sind aber weiter verfügbar: In Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie der Künste gehen die Archivbestände nach Deutschland ins Exil, wo die Forschung international vernetzt weitergeht.

Nachlässe nach Berlin

In Österreich soll es nun eine Informationsplattform für vom Nationalsozialismus verfolgte und vertriebene Musik geben, die auch im Internet verfügbar ist. Primavera Gruber, die Gründerin und bisherige Leiterin des Orpheus Trust, entwickelte ein Konzept für das Musikinformationszentrum. Sie arbeitet außerdem an einem umfassenden enzyklopädischen Handbuch über die österreichischen Opfer der Nazis unter den Musikschaffenden, das über 5500 Einträge umfasst und Grundlage für die Forschung und den Musikbetrieb werden soll.

Das Archiv der Akademie der Künste ist die wichtigste einschlägige Einrichtung im deutschen Sprachraum und betreut über 800 Nachlässe, darunter das Archiv des Jüdischen Kulturbundes. Unter den Beständen von Musikern und Musikforschern, die während der Nazizeit aus Deutschland oder Österreich fliehen mussten, befinden sich die Nachlässe von Ralph Benatzky, Hanns Eisler, Hans Heller, Georg Knepler, Artur Schnabel, Ruth Schoenthal, Mischa Spoliansky und Ignace Strasfogel. Das Archiv ist damit nicht nur die größte einschlägige Institution, es hat auch einen weltweit ausgezeichneten Ruf, hat Österreich-Spezialisten, wird entsprechend von Forschern und Interessierten aus aller Welt genutzt. Die Musikarchive werden von dem auf dem Gebiet der Exilmusik führenden österreichischen Wissenschafter Werner Grünzweig geleitet.

Das Material aus Österreich bleibt als "Archiv Orpheus Trust" beisammen, nach einer Inventarisierung und Digitalisierung der Tonaufnahmen wird das gesamte Archiv der Öffentlichkeit zugänglich sein. Für die Forschung ist also die Übersiedlung nach Berlin kein Hindernis.

Dass die Aufarbeitung in Österreich jedoch aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel unmöglich gemacht wurde, bleibt eine traurige Tatsache. In Wien soll weiterhin Information und Vermittlung stattfinden, doch das Sammeln, Vernetzen und die Veranstaltungen sind in diesem Rahmen nicht weiter möglich.

Die Erforschung und Wiederentdeckung der Exilmusik muss nun von einer neuen Basis aus geschehen: Eine Europäische Plattform für vom Nationalsozialismus verfolgte Musik wurde von Primavera Gruber im November 2005 erstmals vorgeschlagen und auf Initiative des Orpheus Trust bei der Tagung Face the Music am 5. Mai 2006 von Konferenzteilnehmern aus sechs europäischen Ländern gegründet.

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