Explizit erwachsen werden

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Durch das Internet ist Pornografie allzeit verfügbar geworden -auch für Kinder und Jugendliche. Über ratlose Eltern und den Menschen als "zoon pornografikon".

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Durch das Internet ist Pornografie allzeit verfügbar geworden -auch für Kinder und Jugendliche. Über ratlose Eltern und den Menschen als "zoon pornografikon".

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Frau O. stand vor einem Mysterium: Das monatliche Datenvolumen ihres Handys, das sie ansonsten nur ansatzweise nutzte, war diesmal fast völlig aufgebraucht. Ihr Verdacht, dass der elfjährige Sohn dahinterstecken könnte, sollte sich bald bestätigen: Der wohlbehütete Bub, der erst vor einem halben Jahr ein uraltes Tasten-Mobiltelefon erhalten hatte, gab zu, auf dem Handy seiner Mutter "ein paar Sachen nachgeschaut" zu haben. Ein Blick auf die Internet-Chronik zeigte freilich, wie explizit die Suche war: Nach dem Googeln einschlägiger Begriffe hatte sich ihr Sohn eine Stunde lang in Porno-Videos vertieft. Die Aufregung der Eltern war groß, aber im Gespräch mit dem Buben war man um Gelassenheit bemüht. So etwas sei nicht in Ordnung, lautete die Devise: erstens schon wegen des Datenvolumens, und zweitens ganz generell.

Das ahnen die meisten Halbwüchsigen ohnehin, zumal Porno-Seiten für sie grundsätzlich verboten sind. Dennoch - oder gerade deswegen - ist Internet-Pornografie längst fixer Bestandteil der sexuellen Sozialisierung. Schon Kinder der 3. oder 4. Volksschulklasse kommen in Kontakt mit pornografischem Material, weiß Barbara Buchegger von der österreichweiten Initiative Saferinternet.at. Im Rahmen einer Studie über Bilderwelten im Internet hat sie Neunund Zehnjährige gebeten, jene Bilder zu zeichnen, die ihnen unangenehm sind oder Angst machen. "Dabei wurden fast flächendeckend nackte Frauen gezeichnet - in einem Detailgrad, der darauf hindeutet, dass die Kinder mit entsprechenden Bildern in Kontakt gekommen sind", erzählt Buchegger. Auch Gabriele Rothuber, Sexualpädagogin beim Salzburger Verein "Selbstbewusst", hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "Es gibt kaum eine Volksschule, in der Pornografie noch nicht Thema ist."

"Lehrer werden allein gelassen"

Umso wichtiger wäre es, diese Erfahrungen einzuordnen. Auch der neue Grundsatzerlass Sexualpädagogik sieht dezidiert die Auseinandersetzung mit "Sexualität in den Medien" vor. Doch die Praxis sieht anders aus: Zwar bietet das neue "Bundeszentrum für Sexualpädagogik" an der PH Salzburg seit Jänner Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten an; einen speziellen Fördertopf für externe Workshops, in denen Schüler ihre Fragen leichter formulieren können, gibt es aber nicht. "Lehrerinnen und Lehrer werden nach wie vor allein gelassen", lautet das Resümee von Wolfgang Kostenwein vom Österreichischen Institut für Sexualpädagogik.

Die Verantwortung bleibt also großteils bei den Eltern. Sie sollten ihr Kind von Anfang an altersgemäß aufklären - und ihm helfen, "einen positiven Zugang zum eigenen Körper zu finden", rät Kostenwein, dann würden sie die mächtigen Bilder nicht so leicht überwältigen. Kinder völlig abzuschirmen ist aber unmöglich. Bei kleineren können zwar noch technische Tricks helfen - von der Einstellung "SafeSearch" auf "Google" bis zu speziellen Kinderschutz-Apps (nähere Infos auf www.saferinternet. at). Ältere umgehen diese Barrieren aber im Handumdrehen. Dazu kommt, dass Porno-Clips in jedem Schulhof kursieren oder über den Nachrichtendienst WhatsApp an ganze Klassen verschickt werden. Auch Mutproben in Form von Kettenbriefen, bei denen besonders extreme Filme angesehen und weitergeschickt werden müssen, sind beliebt. "Unlängst war ich in einer 1. Klasse eines Gymnasiums, wo über WhatsApp ein Kettenbrief kursiert ist, in dem es um Sex mit Tieren ging", erzählt etwa Elisabeth Rosenberger, die Workshops für Saferinternet.at anbietet und als Vorsitzende der Elternvereine an den höheren und mittleren Schulen Wiens tätig ist. "Das Ganze ist erst aufgeflogen, als sich ein Kind seinen Eltern anvertraut hat."

Wie aber sollten Mütter und Väter reagieren? Möglichst unaufgeregt, rät Rosenberger. Auch Verbote seien meist sinnlos -sie würden nur den Reiz erhöhen und dazu führen, dass die Kinder noch weniger erzählen. Wichtig sei hingegen, offen für Gespräche zu bleiben - und darauf hinzuweisen, dass Pornografie nichts mit gelebter Sexualität zu tun habe. Ein Zugang, den auch Barbara Buchegger präferiert: "Wir sagen, dass das keine Dokumentationen, sondern Action-Filme sind - damit keine falschen Erwartungen entstehen."

Inwieweit Jugendliche diese Sphären trennen können, ist freilich umstritten. Die Hamburger Sexualforscherin Silja Matthiesen kommt nach einer Studie über "Jungen und Pornografie" zum Schluss, dass Porno-Konsumenten "klar zwischen ihrer realen und der virtuellen sexuellen Welt" unterscheiden könnten - und sich auch "kritisch vom in der Pornografie vermittelten Frauenbild" abgrenzen. Andere warnen hingegen vor "Verrohung": Pornokonsum beeinflusse die "sexuellen Skripte" in den Köpfen, schreiben Anne und Christoph Wörle im Buch "Digitales Verderben -Wie Pornografie uns und unsere Kinder verändert"(mvg Verlag 2014).

Leistungs-und Schönheitszwang

Doch wie verändert Pornografie die Gesellschaft insgesamt? Für Hubert Christian Ehalt, Professor für Sozialgeschichte an der Uni Wien und Mastermind der Wiener Vorlesungen, entpuppt sich Sexualität, wie sie der Zeitgenosse als "zoon pornografikon" konsumiert, als "Disziplinierungsprogramm": Bilder und Dramaturgie stünden "unter einem immer strikteren Leistungs-, Perfektions- und Schönheitszwang", schreibt er im Büchlein "Sex zwischen Befreiung und neuer Disziplinierung". Die pornografische Maxime der Trennung von Liebe und Sex schaffe "eine Ideologie eines puren Hedonismus", wodurch die "Fundamente von Beziehungen in der Gesellschaft - Liebe, Empathie, Verständnis - untergraben" würden.

Nicht ganz so schlimm sieht es Franz X. Eder, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien: Er ortet eher eine "Banalisierung": Gerade für junge Leute sei Sex zu einem "Lebensfeld unter vielen" geworden, zu einem "alltäglichen Lust-, Befriedigungs- und Konsumangebot." Zugleich würden Kategorien wie Vertrauen aber wieder eine größere Rolle spielen. Auch habe sich die Zahl der Sexualpartner im Vergleich zur vorhergehenden Generation etwas verringert.

Familie O. kann sich also trösten: Die "Generation Porno" ist noch nicht unrettbar verloren.

Sex zwischen Befreiung und neuer Disziplinierung

Von F. X. Eder, H. C. Ehalt, S. Mundschitz. Picus 2016,72 S., geb., € 9,90

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