Explosives Sujet, das nicht zündet

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Hochaktuell und brisant hätte dieser Abend werden können. Doch Stephan Müllers Inszenierung | von Sophokles’ "Antigone“ ist bloß formverliebte Reproduktion eines Klassikers der Weltliteratur.

Wenige Tage vor dem Weltfrauentag hat Hajo Kurzenbergers und Stephan Müllers Fassung der Tragödie einer mutigen und emanzipierten Frau am Wiener Volkstheater Premiere. Tatsächlich macht die Brisanz des Sujets Sophokles’ "Antigone“ bis heute spannend, und kaum ein anderes Stück erfuhr so viele Bearbeitungen wie diese Tragödie. Die junge anarchistische Kämpferin, die geradezu das Prinzip weiblichen Widerstands gegen staatliche Macht repräsentiert, übt durch ihre furchtlose moralische Strenge und Durchsetzungskraft enorme Attraktivität aus.

Gemeinsam mit Judith, Penthesilea oder Jeanne d’Arc zählt sie zu jener Gruppe gesellschaftlich marginalisierter Frauen, die beispielhaft gegen männliche Autoritäten bis in den Tod kämpften. Sie sind Heldinnen der (Theater-)Geschichte, deren Einsatz und vehemente Kritik an einer patriarchalen Ordnung sie zu Ikonen des Feminismus gemacht haben. Die bekannte Autorin Judith Butler hat etwa unter dem Titel "Antigones Verlangen“ die Vorstellungen über den Staat als öffentlichen männlich besetzten Raum und die Privatsphäre als weiblichen Raum gründlich erschüttert.

Opernhaft manierierter Stil

Am Volkstheater ist Andrea Wenzl - die als neuer Star am deutschsprachigen Theater gehypt wird - in der Titelrolle zu sehen. Von der darstellerischen Bandbreite, die ihr zugeschrieben wird, kann sie allerdings kaum etwas zeigen. Denn Müllers Regie zeichnet sich durch einen opernhaften, manierierten Stil aus, der keinerlei Zwischentöne erlaubt.

Streng skandiert der Chor im Versmaß den Text, der die Gedanken Kreons und der Bevölkerung Thebens ausdrückt, während die jeweiligen Protagonisten in kaltem, emotionslosem, "technischem“ Ton und mittels streng choreografierter Körpersprache ihre Position behaupten.

So überartikuliert etwa Günter Franzmeier als machthungriger König Kreon, was jedoch seine Substanzlosigkeit noch verstärkt. Kreon, der ja nur vordergründig das Gesetz der Polis einhält, und dem es in Wirklichkeit um persönliche Machtdemonstration und Rachsucht geht, fordert als Figur jene übertriebene Härte und gleichzeitige Brüchigkeit, an der Franzmeier komplett scheitert: Er fletscht die Zähne und kreischt vor Zorn, bleibt aber dabei ein lächerlicher Wichtigtuer, der sich darauf verlässt, dass sein schwarzer Ledermantel Eindruck schindet.

Der Wächter ist mit Raphael von Bargen besetzt, welcher durch musterschülerhaftes Gehüpfe und wilde Gebärdensprache seiner Figur eine Art von Komik zu verleihen versucht, die bisweilen sogar entsteht, wenn auch unfreiwillig.

Allein Dominik Warta zeigt als Bote, wie sich schauspielerisches Potenzial über die Regie hinwegsetzen kann. Als er der vor Schrecken zitternden Eurydike (Claudia Sabitzer) vom grässlichen Sterben ihres Sohnes Haimon und dessen Braut Antigone berichtet, findet er als einziger subtile Zwischentöne in diesem von der Regie militärisch organisierten Sprechduktus.

Sprengkraft des Mythos verschenkt

Was möchte Müller mit seiner "Antigone“ eigentlich erzählen? Sie wird hier weder zur Repräsentantin einer Form von feministischer Politik, noch bekommt das klassische Humanitätsbekenntnis - "Zu lieben, nicht zu hassen bin ich da“ - Bedeutung. Der artifizielle Spielstil und die im archaischen Grau zeitlos gehaltene Bühne (Hyun Chu) halten sich von aktuellen Bezügen fern, scheuen aber auch ein Zusammendenken von Psychologie und Politik.

Damit hat Müller aber zugleich auch die Sprengkraft des Mythos verschenkt: Betrachtet man die aktuelle politische Lage im arabischen Raum, so lässt sich Sophokles’ Kritik an unreflektiertem Autoritätsglauben und fehlender Einsichtnahme in falsches Agieren als Warnung für die Gegenwart interpretieren. Wenn der blinde Teiresias - von Rainer Frieb als zynisch-sadistisch lachender Seher gespielt - die tragischen Konsequenzen von Kreons Handeln prophezeit, dann nimmt dieser die Nachricht ganz ohne Erschrecken auf.

Das korrekte Skandieren des Textes, die exakte Körpersprache und Birgit Hutters schöne, schlichte Kostüme bleiben Oberflächenkosmetik eines hochexplosiven Sujets, das hier aber in der Verehrung von Ästhetizismen und Äußerlichkeiten alles andere als zündet.

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