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Jonathan Safran Foer erobert die Herzen der Literaturkritiker. Der junge New Yorker zeigt, wie die Enkelgeneration Geschichte literarisiert.

Dem 26-jährigen New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer ist gelungen, wovon viele ihr Leben lang träumen: Er wird zur Zeit von der deutschsprachigen Presse als Star gefeiert. Wie kommt es, dass die Kritiker quasi wetteifern mit Lobeshymnen für sein Romandebüt? Und wird es in den Augen der Leser, die ihm dadurch gewiss sind, das halten können, was die Kritik nun verspricht? Oder ist das Buch einfach gut vermarktet worden?

Die Themen des Romans sind nicht neu: Gang in die Vergangenheit und Suche nach dem unbekannten Leben der Vorfahren, Auseinandersetzung mit der eigenen, aber fremden Religion - dem Judentum, mit Holocaust und Schuld. Das alles wurde schon vielfach thematisiert in der Literatur. Ein New Yorker namens Jonathan Safran Foer reist in die Ukraine, um den Leben seiner Großeltern und seiner Ahnen nachzuforschen. Ein autobiografischer Roman also? Vom Ausgangspunkt her ja, vom Endergebnis her nein.

Durch seine Sprachgewandtheit, die vom Übersetzer nicht wenig forderte, und eine vielfache Brechung entgeht Foer der einfachen Schilderung einer Suche, indem er aus verschiedenen Perspektiven darüber berichten lässt. Erstens ist da der junge Ukrainer Sascha, der gemeinsam mit seinem Großvater als Reisebegleiter diesem jüdischen Amerikaner zu Diensten steht, der mit einem Foto und einer Landkarte auf der Suche nach der Vergangenheit seiner Familie in die Ukraine gekommen ist. In gebrochenem Englisch (von Dirk van Gunsteren entsprechend übersetzt) schreibt Sascha einerseits literarische Texte über die gemeinsame Reise in das verschwundene Dorf Trachimbrod, von dem niemand etwas zu wissen scheint, andererseits Briefe an Jonathan Safran Foer nach New York, die seine eigenen Texte und die von Foer kommentieren. Denn auch der Amerikaner, angehender Schriftsteller, schreibt: seine eigene (fiktive) Familien- und damit zugleich Dorfgeschichte. In charakteristischen, den verschiedenen Erzählern zugeordneten Stilen, in die weitere Textarten eingebaut werden, wird höchst diffizil jenes Netz gespannt, in dem sich das Gesuchte schließlich dennoch nicht verfängt. Dafür stoßen die Betroffenen und die Leser auf anderes, wird die Vergangenheit von Saschas Großvater zum Thema - und seine Schuld.

Saschas Texte sind in einem derart verballhornten Englisch respektive Deutsch, dass man als Leser Mitleid mit dem Übersetzer bekommt. Der daraus resultierende Witz trägt einen nach den ersten Leseschwierigkeiten mit Leichtigkeit durch das schwere Thema. Überhaupt spielt das Lachen in all seiner Ambivalenz eine besondere Rolle.

Die ausufernde Schilderung des Dorfes Trachimbrod vor allem im 19. Jahrhundert, die Beschreibung jüdischer Traditionen, Disputationen und Prozessionen, die wiederum der fiktive Foer zum Besten gibt und denen er an Phantasie keine, aber auch wirklich keine Grenzen gesetzt hat, erinnern in ihrer Vorstellungskraft an lateinamerikanische Schriftsteller. Hier geht es nicht um die Beschreibung vergangener, sondern um das Erschreiben von literarischen Welten. Das Schtetl wird nicht abgebildet, sondern durch Sprache neu geschaffen. Dabei taucht die natürliche Sehnsucht jedes Lesers auf, die von Sascha auch thematisiert wird: Könnte man die Geschichte nicht auch schön schreiben, schöner schreiben als sie war? Aber der Autor ist unbarmherzig.

So unterscheidet sich der literarische Zugang der Enkel zu Wurzeln und Vergangenheit von dem der Söhne. In purer Fiktion wird auch die Erinnerung an den Holocaust festgehalten, wird der Großeltern gedacht, der Opfer ebenso wie der Schuld. Seinen eigenen autobiografischen Bezug hat der junge Autor gründlich verwischt, indem er diese Geschichte über das, was er selbst nicht finden konnte, erfunden hat. Tatsächlich eine literarische Meisterleistung.

Alles ist erleuchtet

Roman von Jonathan Safran Foer

Deutsch von Dirk van Gunsteren

Verlag Kiepenheuer & Witsch

Köln, 2003, 383 Seiten, geb., e 23,60

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