"Rheingold" und "Walküre": Wagners "Ring" in Bayreuth hat viele Dellen.
Statisch sitzen die rot gewandeten Rheintöchter mit weißen Badehauben zwischen Steinblöcken. Alberich hatscht tollpatschig herum: Schon in der ersten Szene von "Das Rheingold" gelingt es Tankred Dorst nicht, sinnliche Vitalität zu erzeugen, auch nicht durch die Videoprojektion von nackten, schwimmenden Frauen. Auch lässt der deutsche Regisseur in Bayreuth bei der Wiederaufnahme des "Ring des Nibelungen" von 2006 sowohl den "Fluch auf die Liebe" als auch den Raub des Goldes völlig beiläufig wirken.
Dafür fabriziert er zwischen einer eher an eine mit Graffiti beschmierte, schäbige Baustelle erinnernden Götterwelt und einer steril modernen Fabrikhalle "Nibelheim" (Bühne: Frank Philipp Schlößmann) in geschmacklos überzogenen Kostümen (Bernd Ernst Skodzig) eine zwar werktreue, aber in simplem, biederem Realismus steckengebliebene Inszenierung, die zudem noch ungeschickt wirkt und kaum emotionale Beziehungen der Figuren zulässt.
Biedere Werktreue
In der Menschenwelt der "Walküre" scheint sich Tankred Dorst hingegen wohler zu fühlen: Da kann man im ersten Akt in einem wiederum hässlichen Raum, wo seltsamerweise das Schwert Notung in einem Telegrafenmast steckt, der die Mauer durchschlagen hat, beim Liebeserkennen des Geschwisterpaares so etwas wie Gefühle erspüren. Auch der finale Feuerzauber zwischen steilen Felswänden ist optisch packend erdacht, wohingegen der Mittelakt ideenlos zwischen antikem Gerümpel angesiedelt ist. Auf die aktualisierend wirken wollenden Zutaten wie herumlaufende Kinder, Touristen, Radfahrer hätte man gerne verzichtet.
Bis auf wenige Ausnahmen ist man bei den Sängern in beiden Teilen von einem Festspielniveau weit entfernt: Arnold Bezuyen, um bei den Positiva zu beginnen, ist ein wortdeutlicher, lebendiger Loge, Andrew Shore ein eindrucksvoller Alberich. Eine intensive Charakterstudie liefert Gerhard Siegel als gequälter Mime ab. Aufhorchen lässt die kraftvolle Edith Haller (Freia). Ideal besetzt sind Michelle Breedt (Fricka) sowie die Riesen Kwangchul Youn (Fasolt) und Hans-Peter König (Fafner). Stimmgewaltig, aber hohl hört man Ralf Lukas (Donner), gut phrasiert Clemens Bieber (Froh), solide Christa Mayer (Erda). Albert Dohmen ist leider an beiden Abenden ein kaum verständlicher, immer wieder forcierender Wotan, mit knorrigem, wenig kraftvollem Organ, worunter auch die Abschiedsszene von seiner Lieblingswalküre leidet.
Keineswegs festspielreif
In der "Walküre" zeigt Linda Watson (Brünnhilde) ausgereifte Gesangskunst, nur ihre Spitzentöne sind schrill. Eva-Maria Westbroek (Sieglinde) lässt ihren herrlichen Sopran leuchten. Bravourös ist die Einspringerin Martina Dike (Fricka). Der präsente Kwangchul Youn, diesmal als Hunding, singt wieder mit exemplarischer Artikulation. Alle Walküren sind uneingeschränkt gut. Warum allerdings Endrik Wottrich hier den Siegmund singen darf, ist nicht nachvollziehbar: Nie durchschlagskräftig, ständig forcierend, völlig unverständlich knödelnd erklingt sein unschöner Tenor.
Wunderbares und Geheimnisvolles erklingt an beiden Abenden aus dem Graben: Christian Thielemann, der penibel sängerfreundlich agiert, gelingt es, im Festspielorchester nuancenreiche, sensible magische Momente von herrlicher Lyrizität, aber auch von packender Emotionalität zu erzeugen.
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