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Alles anders: Der blutige Rock ist Legende und die Republik startete allein in Rot.

Irgendwo tief in den Wäldern des Sherwood Forest müssen österreichische Robin-Hood-Leserinnen und-Leser ihr Land verraten - gewiss, keine leichte Entscheidung, noch dazu meist in sehr jungen Jahren zu treffen, aber es geht nicht anders: Auf der Seite von Robin Hood stehen, heißt mit Richard Löwenherz bangen. Den "wir" gefangen hielten und für den "unser" Leopold V. Lösegeld verlangte. Was musste Löwenherz auch bei der Eroberung der Festung Akkon im Heiligen Land die englischen Banner aufpflanzen und das österreichische Zeichen herunterreißen und in den Dreck treten? Noch dazu, wo sein Kreuzfahrer-Kollege Leopold dieses gerade zuvor nach der martialischen Formel entworfen hatte: weißer Waffenrock + viel Feindesblut-Schwertgurt = Rot-Weiß-Rot.

Und die Überlieferung dieses "Bindenschilds" bleibt auch nach seinem Entstehungskreuzzug eng mit Löwenherz verbunden: Um das Jahr 1195 herum fertigt Peter aus Ebulo bei Salerno eine Zeichnung an, die zwei Junker mit gestreiften Schildern zeigt, als sie dem englischen König in Wien-Erdberg auflauern. In der Nacht vom 21. zum 22. Dezember dieses Jahres jährt sich die Löwenherz-Gefangennahme zum 815. Mal. Und England feiert heuer den 850. Geburtstag seines Heldenkönigs. Der hatte neben politischem, militärischem und künstlerischem Genie auch eine bestialische Seite: Nach der Eroberung Akkons erklärte sich Sultan Saladin zur Übergabe des Wahren Kreuzes, aller christlichen Gefangenen und eines fürstlichen Geldbetrags bereit. Doch als er die Erfüllung der Vereinbarung verzögerte, ließ Löwenherz 2700 muslimische Gefangene, darunter Frauen und Kinder, vor den Mauern der Stadt niedermetzeln.

Im Unterhemd zur Schlacht?

Den komplexen und widersprüchlichen Löwenherz-Charakter hat der Wiener Historiker Robert-Tarek Fischer in einer gelungenen - weil gegen den Legenden-Strich gebürsteten und von Sympathie für den Protagonisten geprägten, aber trotzdem kritischen - Biografie zusammengefasst; der Untertitel des Buches (siehe Tipp) lautet: "Mythos und Realität".

Dieser Titel könnte auch über der Rot-Weiß-Rot-Legende stehen. Der passionierte Österreich-Forscher Peter Diem macht in seinem Buch "Die Symbole Österreichs" die nahe liegende Feststellung: Bei Leopolds "Waffenrock" könnte es sich höchstens um ein Unterhemd gehandelt haben, denn die Kreuzritter zogen trotz der Julihitze im Heiligen Land nicht in weißen Uniformen oder wallenden Gewändern, sondern in voller Rüstung in die Schlacht."

Auch Peter von Ebulos Zeichnung von der Löwenherz-Gefangennahme bei Wien lässt Diem nicht als frühen Beleg für das gestreifte Österreich-Emblem gelten: "Was für einen Karikaturisten, der den Zug westeuropäischer Ritterheere nach Sizilien mitverfolgte, eine klare Sache darstellte, war im frühmittelalterlichen Wien - das bekanntlich bis heute bei jeder Entwicklung einen zeitlichen Respektabstand einhält - noch lange nicht in Gebrauch: der Schildschmuck durch einfache Heroldsbilder."

800 Jahre alter Modegag

Erst ein Nachfahre Leopolds, der letzte Babenberger Friedrich der Streitbare, so der heutige Stand der Forschung, legte sich als Zeichen für mehr Unabhängigkeit seines Herzogtums vom Kaiserreich ein neues Siegelbild zu. Dabei mögen modische Überlegungen mitgespielt haben, meint Diem, auch Bayern und Böhmen suchten zu dieser Zeit nach einer neuen, heute würde man sagen, "corporate identity". Ältestes Beweisstück für die Entstehung des Bindenschilds unter Friedrich ist ein wächsernes Amtssiegel an einer Urkunde vom 30. November 1230, die dem Stift Lilienfeld seine Privilegien bestätigt.

Also kein Blutbad am rot-weiß-roten Anfang, sondern werbetechnisch geschickte Positionierung der eigenen Marke im Reichs-Einheitsbrei. Dafür fand der Republiksstart am 12. November 1918 nur in Rot und in Blutrot statt: Anstelle der vorbereiteten rot-weiß-roten Fahnen wurden bei der Ausrufung der Republik vor dem Wiener Parlament nur aneinandergeknotete rote Stoffbahnen aufgezogen. Angehörige der kommunistischen "Roten Garde" hatten zuvor die weißen Mittelstreifen herausgerissen. Außerdem kam es zu einem Schusswechsel mit Toten.

"An sich grenzt es ohnehin an ein Wunder", meint Peter Diem, "dass die junge Republik überhaupt zu den alten Babenbergerfarben gefunden hatte." Denn die Sozialdemokraten plädierten für das "revolutionäre" Schwarz-Rot-Gold - als deutliches Zeichen für den Bruch mit der Monarchie und dem Haus Habsburg und als Symbol der Zugehörigkeit Deutschösterreichs zur Deutschen Republik. Es setzten sich aber die Christlichsozialen durch, die in den "ehrwürdigen Babenberger- und Kreuzzugsfarben" ein Zeichen für Kontinuität und österreichische Eigenständigkeit erblickten.

30 Jahre später geht die rot-weiß-rote Eigenständigkeit an Hitler-Deutschland verloren. Erst am 29. April 1945 werden das erste Mal wieder rot-weiß-rote Fahnen vor dem Parlament gehisst. Der spätere Bundespräsident Adolf Schärf sagte dabei zum kommunistischen Wiener Vizebürgermeister Karl Steinhardt: "Jetzt hast du Tränen der Rührung in den Augen, weil russische Soldaten die rot-weiß-roten Fahnen hochziehen; im November 1918 hast du schießen und das Weiße aus den Fahnen herausreißen lassen - so ändern sich die Zeiten!" Und Steinhardt antwortete: "Ja, das wäre nicht notwendig gewesen, wenn ihr nur immer gemacht hättet, was wir wollten!"

Werbe-statt Nationenfahnen

So ändern sich die Zeiten, gilt genauso für heute: Tränen der Rührung vergießen angesichts der Landesfarben nur mehr Spitzensportler, die es bei Olympiaden aufs Stockerl schaffen. Und man muss Österreich nicht mit der Schweiz vergleichen, wo bald auf jedem Heustadel das weiße Kreuz auf rotem Grund flattert, um Gerald Heerdegen, Chef der in Österreich marktführenden Fahnenfabrik "Fahnen Gärtner" in Mittersill, Recht zu geben, der meint: "Die rot-weiß-rote Fahne verschwindet aus dem Alltag!" Was heißt Alltag? Es ist noch gar nicht lange her, da war es in sehr vielen Haushalten selbstverständlich, am National-oder Staatsfeiertag die österreichische Fahne aufzuhängen - heute schmücken nur mehr Sat-Schüsseln die Balkone.

Der Verkauf von Österreich-Fahnen an Privatpersonen ist stark zurückgegangen, sagt Heerdegen. Seine Fahnen werden heute vor allem von öffentlichen Stellen, von Gaststätten und Tourismusbetrieben angefragt - in Kombination mit der EU-Flagge: "Da kann man mit einer Fahne Gäste aus 27 Ländern willkommen heißen." 90 Prozent seiner Produktion sind aber nicht Nationenfahnen, sondern Werbefahnen für Industrie und Gewerbe. Das Geschäft läuft "sehr zufriedenstellend", sagt Heerdegen - darüber hinaus würde er sich aber wünschen, dass jeder Haushalt in Österreich eine rot-weiß-rote Fahne besitzt und benutzt: "Dabei geht es mir um mehr, als dass ich meine Fahnen loswerde", sagt der Fahnenproduzent. Heerdegens "mehr" lässt sich am besten als Patriotismus zusammenfassen, nicht zu verwechseln mit Nationalismus: Ein Patriot ist jemand, der sein Land liebt; ein Nationalist ist jemand, der die anderen Länder verachtet.

Buchtipp:

RICHARD I. LÖWENHERZ 1157-1199

Mythos und Realität

Von Robert-Tarek Fischer

Böhlau Verlag, Wien 2006,

326 Seiten, geb., € 24,90

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