Fallende Dominosteine

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Demagogie bedroht Demokratie. Das ist von den USA bis zu den Philippinen evident. Haben Europa und seine Gesellschaften aber dem etwas entgegenzusetzen?

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Demagogie bedroht Demokratie. Das ist von den USA bis zu den Philippinen evident. Haben Europa und seine Gesellschaften aber dem etwas entgegenzusetzen?

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Wie das Jahr 2016 in die Geschichte eingehen wird, ist natürlich zurzeit noch nicht festzumachen. Aber dass die Gewissheiten westlicher Politik, die auf Demokratie und Menschrechte setzt, in einem atemberaubenden Tempo zerbröseln, dürfte bereits evident sein. Man muss sich weder Kassandra noch gar Defätist nennen lassen, wenn man ob der global sichtbaren Entwicklungen höchst alarmiert ist.

Menschenrechte und Demokratie, die Eckpfeiler des westlichen Lebens-und Gesellschaftsmodell, stehen schneller zur Disposition, als man auch hierzulande zu glauben vermochte. Es gibt längst Extrembeispiele dafür - auch wenn sie weit weg scheinen. Noch. Die Berichte aus den Philippinen, wo der seit kurzem amtierende Präsident Rodrigo Duterte einer straflosen Tötung von tatsächlichen oder vermeintlichen Drogentätern das Wort redet -3000 Tote lauten die kolportierten Zahlen seit Dutertes Amtsantritt am 30. Juni: Ungeachtetet vieler Proteste, nicht zuletzt der katholischen Bischöfe, ist kein Ende des Tötens oder ein Sinken der Popularität Dutertes zu sehen.

Auch am Bosporus tönt es ähnlich: Dass Präsident Recep Erdogan die Presse knebelt und die Opposition im Parlament verhaften lässt, findet schon bedeutend näher an Europa statt. Und nach dem Wahlsieg Donald Trumps ist klar, dass man mit einer Rhetorik wider grundlegende Errungenschaften von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten eine US-Wahl gewinnen kann. Ob die Demokratie jenseits des Atlantiks dies verkraften kann, wird die unmittelbare Zukunft weisen. Ausgemacht ist das längst nicht mehr.

Nicht die Populisten, sondern die Demagogen sind im Vormarsch

Es klingt harmlos, da von einem Siegeszug der Populisten zu sprechen. Man sollte vielmehr das Wort Demagogie in den Mund nehmen -die drei oben angeführten aktuellen Szenarien sind geradezu klassische Beispiele dafür. Das verheißt nichts Gutes - auch nicht für Europa.

Denn hier sind die Versuchungen, die Schleusen der Demagogie zu öffnen, längst gleichfalls sichtbar. Wer aller von Paris bis Wien und darüber hinaus in den Startlöchern scharrt, scheint evident. Und lässt die Alarmglocken schrillen. Ob die nächste Generation noch in demokratischen Systemen leben wird, ist keine ausgemachte Sache mehr -und man muss konzedieren, dass der derzeit herrschende gesellschaftliche und politische Umgang wenig dazu beiträgt, dass diese Gefahr gebannt wird.

Es bleibt trotzdem nichts anderes zu tun, als Gegenstrategien zu entwickeln. Das eine betrifft die derzeitigen politischen Player, welche die demagogische Gefahr endlich ernst nehmen müssen.

Hoffnungszeichen und Verkennungen der prekären Lage

Manch Hoffnungszeichen gibt es da -etwa wenn in Deutschland ein konsensualer Kandidat für die Bundespräsidentschaft wie soeben der SPD-Mann Frank-Walter Steinmeier gefunden wird. In Österreich träumt man von derartigem Bewusstsein aber noch - hier ist zwischen den politischen Playern immer noch Wadlbeißen angesagt anstatt gemeinsamer Zukunftssorge. Ändert sich das nicht umgehend, werden aber beide derzeitigen Koalitionäre untergehen. Wenn ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner Neuwahlen als "Selbstmord mit Anlauf" bezeichnet, so zeigt dies, dass zumindest er den Ernst der Lage erkannt hat. (Analoges gilt fürs politische Handeln auf EU-Ebene.) Aber auch Herr und Frau Österreicher sind längst aufgerufen, die Menetekel ernst zu nehmen. Die Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember wird zeigen, ob auch dieses Land abdriftet. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Wahl ist da kaum zu überschätzen.

Einmal mehr erinnert man an Karl Poppers Plädoyer für die Demokratie, die es als einzige Staatsform ermögliche, die Regierenden ohne Blutvergießen loszuwerden: Sogar dieses Minimalkriterium steht zur Disposition. Auf den Philippinen, so scheint es, geht es ohne Blutvergießen nicht mehr ab. Wenn jedoch die skizzierte Entwicklung vor Europa nicht haltmacht?

otto.friedrich@furche.at |

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