Falscher Hase im weltfernen Pfeffer

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Der Briefwechsel zwischen Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf von 1974 bis 2006 beschreibt nicht nur den mitunter bissigironischen, immer geschäftlichen Austausch zwischen Kritiker und Schriftsteller, sondern beleuchtet auch den Literaturbetrieb jener Jahre.

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Der Briefwechsel zwischen Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf von 1974 bis 2006 beschreibt nicht nur den mitunter bissigironischen, immer geschäftlichen Austausch zwischen Kritiker und Schriftsteller, sondern beleuchtet auch den Literaturbetrieb jener Jahre.

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Wo sich selbst Menschen, die tagtäglich mit Geschriebenem zu tun haben, kaum noch aufraffen, sich in langen Briefen auszutauschen, scheint diese Form der Korrespondenz an nostalgischem Charme zu gewinnen. Während man zuletzt staunend verfolgte, wie ausführlich und geduldig Verleger Siegfried Unseld einst mit zwei seiner Primadonnen, mit Peter Handke und Thomas Bernhard, seitenlange Epistel wechselte, erhalten wir nun Aufschluss darüber, wie ein (rasch in die erste Reihe aufrückender) Kritiker und ein (nach und nach immer mehr an Reputation gewinnender) Schriftsteller ihr Arbeitsverhältnis in knapp 300 Briefen gestalteten.

"Hackentretende Post"

Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf korrespondierten - von einer ohne Antwort gebliebenen Anfrage des Kritikers aus dem Jahr 1967 abgesehen - von 1974 bis 2006 miteinander. In ihrem Austausch geht es fast nie um Privates. Persönliche Befindlichkeiten werden ausgegrenzt; ihr - wie es Rühmkorf nannte - "kommerziellkameradschaftlich widersprüchliches" Verhältnis kreist vor allem um Aufträge, die der 1973 zum Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen avancierte Reich-Ranicki den am Hamburger Elbufer wohnenden Dichter erteilt. Von unermüdlichem Eifer getrieben, erkennt Reich-Ranicki schnell, dass Rühmkorf kein Nullachtfünfzehn-Rezensent, sondern ein Mann für intellektuell komplexe Aufgaben ist. Dieser wiederum weiß früh seine Fähigkeiten einzustufen: "weil ich nie was hinwichse, immer Grundlagenforschung mitliefre".

So darf sich Rühmkorf daranmachen, nach der Aktualität von Heinrich Heine oder Bert Brecht zu fragen, ohne sich -was für sein Pendant in Frankfurt ein Graus gewesen wäre -zu sehr in wissenschaftliche Betrachtungen zu verstricken, und er ist ein fleißiger Beiträger zu Reich-Ranickis Lieblingskind, der "Frankfurter Anthologie". Bald stellt sich auf Seiten des Auftraggebers freilich Missvergnügen ein. Während Rühmkorf des finanziellen Auskommens wegen gezwungen ist, sich breit aufzustellen und seine Arbeiten in Rundfunk und Feuilleton mehrfach zu verwerten, ereifert sich der Kritiker, wenn Rühmkorf versprochene Texte partout nicht liefert. Selbst Nachfragen per Telefon und Telegramm gehen oft ins Leere, und so bleiben Reich-Ranicki nur Sarkasmus und Ironie als Methoden der Anfeuerung. Er beklagt die "grauenvolle" Zusammenarbeit, bezeichnet den Briefpartner als "ekelhaften Menschen", der sich vor allem durch Faulheit auszeichne. Rühmkorf leidet unter dieser "hackentretenden Post" und gibt sich zugleich alle Mühe, den Antreiber zu beruhigen, wohl wissend, dass er auf die nicht schlechten Frankfurter Honorare angewiesen ist und - etwa wenn es um Literaturpreise geht - dem Strippenzieher Reich-Ranicki einiges zu verdanken hat.

Meistens bewegen sich diese Dispute somit an der ironischen Grenze, selbst wenn Reich-Ranicki mehrfach darauf hinweisen muss, wie einfach es wäre, von den Verlagen Neuerscheinungskataloge zu erhalten und damit auf dem Laufenden zu bleiben. Dass Rühmkorf dieses Problem nicht zu lösen vermag, will seinem Widerpart nicht einleuchten. "Hier liegt der falsche Hase im weltfernen Pfeffer", lautet sein ernüchtertes Fazit.

Geld und Ansehen

So intensiv und produktiv beide kooperieren, so spürbar bleibt selbst in den heitersten Briefen, dass eine wirkliche Freundschaft zwischen beiden nicht entsteht. Der sich auf dem linken Spektrum heimisch fühlende Rühmkorf weiß zu gut, dass er - des Geldes und des Ansehens wegen -für eine Zeitung schreibt, die ein "konservativer Meinungsträger" ist. Es bedarf keiner großen Affären, um das fragile Verhältnis Belastungsproben auszusetzen. Einmal geht es auf unfreiwillig komische Weise darum, detailliert auszuzählen, ob ein Arno-Schmidt-Gedicht die vorgeschriebene Länge für die "Frankfurter Anthologie" überschreite. Rühmkorf verleitet das zu der Vermutung, die Zeitung sei nach rechts gerückt und dulde einen wie Arno Schmidt nicht mehr - was Reich-Ranicki scharf zurückweist.

Bei aller Strenge, die der Kritiker walten lässt, meidet er es tunlichst, seinem Mitarbeiter enge Vorgaben zu machen. Gewiss, er sieht es "ungern", wenn Rühmkorf für ein Hamburger Nachrichtenmagazin schreiben möchte, mahnt den Sprachdrechsler, verständlich zu bleiben, warnt vor "Gefälligkeitsrezensionen" und weist Gedichte zurück, wenn sie seinen Ansprüchen nicht genügen. Doch gleichzeitig akzeptiert er klaglos, dass er herausragende Rezensenten nur bei der Stange hält, wenn er abweichende Meinungen duldet. Als Rühmkorf in einem Essay seine Abneigung gegenüber dem von Reich-Ranicki verehrten Thomas Mann zeigt, ist das Urteil klar: "Ich finde jedes Wort, ja jedes Wort in Ihrem Manuskript ganz und gar falsch. Aber ich habe Ihre Äußerungen mit großem Vergnügen gelesen und wir werden sie gern und mit Vergnügen publizieren."

Als Antwort Schweigen

Einmal freilich fruchtet alle Nachsicht nichts. Als sich Reich-Ranicki 1995 mehrfach über Günter Grass' Roman "Ein weites Feld" hermacht, platzt Rühmkorf die Hutschnur. Er beklagt mit sehr deutlichen Worten den Graben, den der Großrezensent damit "zwischen der Schönen Literatur und ihrer zur ideologischen Lehrmeisterin verklärten Kritik" aufgerissen habe. Schweigen ist die Antwort, ein Schweigen, das bald fünf Jahre währt. Als Rühmkorf dann zarte Annäherungsversuche unternimmt und die Friedenspfeife anbietet, bleibt der Gescholtene spröde und erklärt unmissverständlich, dass er einen Liebesdienst erwarte: einen Artikel aus Rühmkorfs Feder, der sich "freundlich und respektvoll" über ihn äußere.

Dieser Briefwechsel ist ein kurzweiliges Dokument, das Aufschluss über die Usancen des Literaturbetriebs jener Jahre gibt und zugleich offenlegt, wie rasch sich dieser inzwischen gewandelt hat. Ein geduldiger Austausch, wie ihn Reich-Ranicki und Rühmkorf pflegten, scheint mittlerweile nahezu undenkbar. Über die "Termingeißel", die Rühmkorf beklagt, würde heute milde gelächelt werden. Ein klein wenig sehnt man sich nach der Lektüre dieser Briefe in die Epoche der Langsamkeit zurück.

Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf. Der Briefwechsel

Herausgegeben von Christoph Hilse und Stephan Opitz

Wallenstein 2015

336 Seiten geb., € 23,00

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