Familiäre Frustration

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Ein turbulenter "Tartuffe" in St. Pölten.

Alles beginnt mit einer saftigen Standpauke. Madame Pernelle (Louise Martini) thront auf einem fahrbaren Krankenstuhl und tadelt die pflichtvergessenen Angehörigen. Die haben, während das Familienoberhaupt abwesend war, offensichtlich intensiv gefeiert. Ort der Zurechtweisung ist ein sachlich-nüchternes Apartment mit kantigen blauen Sofas, platziert auf rotem Linoleum. Die große Wand dahinter glänzt in sattem Grün. Im Landestheater St. Pölten wird Molières "Tartuffe" nicht gravitätisch-ehrwürdig, sondern in zeitgemäß-modernem Rahmen inszeniert (Bühne Renato Uz).

Regisseur Hans Escher lässt den französischen Klassiker als eine Art Familienaufstellung spielen. In der spannenden, phasenweise turbulenten Aufführung wird auf der Bühne die Struktur einer erfolgsorientierten Musterfamilie bloßgelegt, in der das Wahren des Scheins oberster Grundsatz ist. Weil so viele Erwartungen erfüllt werden müssen, bleibt für das Miteinander keine Zeit.

Darunter leiden nicht nur die vernachlässigte Gattin und der orientierungslose Sohn. Am meisten zu schaffen macht die wohltemperierte familiäre Gleichgültigkeit offenbar dem Hausherrn. Die Ehefrustrationen trüben dessen Verstand und machen ihn empfänglich für die Einflüsterungen des gewissenlosen Scharlatans. Wenn sich Orgin (hervorragend gespielt von Johannes Seilern) nach dem Wohl von "Herrn Tartuffe" erkundigt, überschlägt sich seine Stimme. Wenn er den "guten Mann" lobt, zerfließt sein Gesicht. Seine Blindheit hat etwas von der Hartnäckigkeit eines Kindes, das die Realität partout nicht sehen will. Der Eindringling braucht sich da nicht mehr anzustrengen.

Erwin Steinhauer gibt den verlogenen Hochstapler Tartuffe als modernen Heuchler. In orangefarbener Kostümierung, die Blicke zum Himmel erhoben, die Hände gefaltet wie Ghandi, simuliert er eine Mischung aus Guru und Coach. Großartig ist, wie die wirklichen Impulse Tartuffes, Gier und unkontrollierbare Lüsternheit, hervorbrechen, als er sich forsch an Orgins Gattin Elmire heranmacht. Die wird als kühle, sittenstrenge Hausfrau von Mercedes Echerer sehr überzeugend verkörpert. Zufrieden sein kann man auch mit den Leistungen von Antje Hochholdinger (Dorine), Thomas Mraz (Damis) und Helmut Wiesinger (Cléante). Das junge Liebespaar Cléante und Mariane (Karin Yoko Jochum, Mirko Roggenbock) bleibt hingegen typenhaft flach. Eine spannende Aufführung, die unterhält und nachdenklich macht.

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