Familienaufstellung - und ein Best of

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Oper einmal klassisch, einmal unkonventionell: Georg F. Händels "Radamisto“ im Theater an der Wien, Giacomo Puccinis "La Bohème“ in der Kammeroper.

Armeniens Herrscher Tiridate lässt seine Soldaten aufmarschieren, um Zenobia, die Frau des thrakischen Thronfolgers Radamisto, für sich zu erobern. Zenobia ist allerdings Tiridates Schwägerin, er selbst mit Polissena verheiratet, die ihn keineswegs freigeben will. Dieser ihrer kompromisslosen Konsequenz und Zenobias tugendhaften Haltung ist zu verdanken, dass Tiridate am Ende reumütig zu seiner Frau zurückkehrt. Und weil ihm auch Radamisto verzeiht, bleibt Tiridate die bereits verloren geglaubte Königswürde.

Ein heftiger Familienkrieg, inspiriert vom 51. Kapitel des 12. Buches der "Annales“ von Tacitus. Auf ihm basiert Nicola Francesco Hayms Libretto, für die Händel seine in vier Fassungen vorliegende Oper geschrieben hat. Da erst für die zweite "Radamisto“-Serie in Londons King’s Theatre Haymarket der berühmte Kastrat Senesino für die Titelpartie zur Verfügung stand, modifizierte Händel die Erstversion - und legte später noch zwei weitere Fassungen vor.

Vater-Sohn-Beziehung

Für das Theater an der Wien hat René Jacobs eine gestraffte Version der dritten Fassung erarbeitet. Die auf drei Akte verteilte Handlung wird auf zwei zusammengeführt, was der Spannung, vor allem den szenischen Intentionen von Regisseur Vincent Boussard zugute kommt. Er verzichtet auf das kriegerische Ambiente, legt den Fokus auf den familiären Konflikt, den er in einem blau ausgelegten, sich nach hinten verjüngenden, schlichten Bühnenraum spielen lässt.

Schließlich ist "Radamisto“ auch mit der familiären Situation seines Auftraggebers eng verbunden. Denn diese Opera seria war Zeichen der Wiederversöhnung des englischen Königs Georgs I. mit seinem Sohn. Die Vater-Sohn-Beziehung steht auch im Mittelpunkt von Boussards Deutung. Die Rolle der Frauen kommt dabei nicht zu kurz. Nicht nur, dass immer wieder Frauen über die Bühne schreiten und das Geschehen stumm, dafür mit umso beredteren Gesten kommentieren, lässt die Regie den exzellenten Gestalterinnen von Polissena und Zenobia, Sophie Karthäuser und Patricia Bardon, stets den nötigen Raum, um das Wechselspiel ihrer Stimmungen deutlich zu machen.

Eine hohe Schule der Psychologie, wie sie auch Jeremy Ovenenden als Tiridates Getreuer Tigrane beeindruckend vorzeigte. Für den Tiridate hätte man sich einen nicht nur in der Tiefe markanter artikulierenden Gestalter gewünscht als Florian Boesch. Bestens gelaunt agierte das Freiburger Barockorchester, das unter René Jacobs mitreißend-sachkundiger Leitung die zahlreichen Facetten dieser Händel-Oper zum Leuchten brachte.

Bohème im Einkaufszentrum

Am Schluss stirbt Mimi (ausdruckstark Çigdem Soyarslan) in einem Spital. Auch sonst unterscheidet sich diese "Bohème“ in 90 Minuten von Puccinis Original, von dem in der Kammeroper hauptsächlich die Ohrwürmer zu hören sind, verbunden durch eigens für diese Produktion von Sinem Altan kreierte elektronische Zwischenspiele. Die vier Bohémiens - am eindrucksvollsten der kraftvoll auftrumpfende Rodolfo von Andrew Owens - werden als Söhne wohlhabender Eltern dargestellt. Ihre Armut ist bloß vorgetäuscht. Nicht aber ihre Schwierigkeit, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen und auch Beziehungen einzugehen, wie es diese Inszenierung von Lotte de Beer im Umfeld eines modernen Einkausfzentrums beklemmend deutlich macht. Engagiert, wenn auch ebenso lautstark wie die Protagonisten, musizierte das Wiener KammerOrchester unter Claire Levacher.

Weitere Termine

Radamisto: 24., 27., 29., 31. Jänner

La Bohème: 26., 30. Jänner

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