Farbe aus Ribisel und Holler

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Der Klimaschutz fängt in den Gemeinden an. Das burgenländische Güssing hat hier Vorbildcharakter.

Das, Modell Güssing' ist etwas Besonderes", sagt Reinhard Koch. Der gelernte Elektrotechniker ist Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für erneuerbare Energie in Güssing: "Das Besondere ist die autarke Energieversorgung mit ausschließlich regionalen, erneuerbaren Ressourcen und die daraus resultierende Belebung des Wirtschaftsstandortes in Kombination mit Forschung und zukunftsorientierter Ausbildung, plus einem Know How-Verkauf in verschiedenste Länder der Welt."

Güssing, das 4000-Einwohner-Städtchen im Schatten seiner Burgruine im Südburgenland, gilt als das Mekka für erneuerbare Energien. 40.000 Besucher aus aller Welt kamen allein im vergangenen Jahr als Öko- und Energie-Touristen in den südöstlichsten Winkel Österreichs.

Vor wenigen Wochen erfolgte der Spatenstich für ein neues Projekt: Güssing will im Herbst dieses Jahres synthetisches Erdgas, sogenanntes "Biogas" aus Holz erzeugen. Zusätzlich sollen Tankstellen für biogas-betriebene Autos errichtet werden. Reinhard Koch spricht von 70.000 damit betriebenen Autos in drei Jahren. Derzeit sind es 700. Forschungsprojekte mit großen europäischen Konzernen wie VW, Daimler Chrysler, Volvo, Renault und BP sind im Laufen.

Ausstieg aus fossiler Energie

Vor 20 Jahren noch galt der Bezirk Güssing mit rund 27.000 Einwohnern als der ärmste Bezirk Österreichs. Gründe dafür gab es genug: Güssing lag isoliert am Eisernen Vorhang. Als Folge davon gab es im Bezirk keine größeren Gewerbe-oder Industriebetriebe, was zu hoher Arbeitslosigkeit führte; viele waren gezwungen, die Region zu verlassen. 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung pendelte wochenweise nach Wien. Zusätzlich zu diesen Faktoren gab es eine starke Kapitalabwanderung aus der Region.

1989 fällte der Güssinger Gemeinderat unter Vorsitz von Bürgermeister Peter Vadasz seinen vielleicht historisch wichtigsten Beschluss: den sukzessiven Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung und den 100-prozentigen Umstieg auf regional verfügbare Biomasse. Ausgelöst wurde das Projekt durch ein Energiekonzept von Reinhard Koch, damals Technischer Leiter der Stadtgemeinde. In seinem Projekt zeigte er die regionalen Energieeinsparungs-sowie Ressourcenpotenziale und die Optimierung der Ausgaben der Region für Energieimporte auf.

Die Spötter sind verstummt

"Anfangs schienen die Ziele illusorisch und unerreichbar, so innovativ und scheinbar wirklichkeitsfremd waren die Pläne", erinnert sich Karl Draskovich. Der heute 84-jährige Forst- und Gutsbesitzer und Gewerbetreibende gilt als einer der visionären Väter des Güssinger Modells.

18 Jahre nach dem richtungsweisenden Gemeinderatsbeschluss wurde Güssing zur "innovativsten Gemeinde Österreichs" gekürt. Denn die Gemeinde war energieautark, das heißt Selbstversorger bei Strom, Wärme und allen Kraftstoffen. Die lokale Produktion von Biomasse, Biodiesel und Solarenergie übertrifft in der Jahresbilanz den Bedarf. Dadurch wurde eine regionale Wertschöpfung von jährlich 13 Millionen Euro erreicht.

"Die Stimmen der Spötter und Gegner von einst sind längst verstummt", sagt Bürgermeister Peter Vadasz (VP). "Der Weg, den die Gemeinde ging, ist heute anerkannt und hat Vorbildcharakter für zahlreiche Regionen in Europa und Übersee" - auch und vor allem angesichts der aktuellen Klimaschutzdebatte. Denn "auf lokaler Ebene, direkt vor Ort, in jeder Gemeinde kann man am meisten für den Klimaschutz tun", sieht auch Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer das Subsidiaritätsprinzip gerade in diesem Bereich als die entscheidende Handlungsmaxime: "Die Gemeinden können die öffentlichen Gebäude thermisch sanieren und die Bevölkerung am ehesten zu energiesparenden Maßnahmen motivieren, und die Gemeinden können alternative Energieformen und Anlagen zur Solar-Energie-Gewinnung errichten." In diesem Sinn hat sich mittlerweile in Güssing und Umgebung ein richtiger "Energie-Cluster" gebildet. Derzeit gibt es 25 Anlagen auf Basis erneuerbarer Energie. Tendenz weiter steigend.

"Dazwischen gab es ein Umdenken auf allen Linien", erzählt Reinhard Koch: Es begann mit einem radikalen Energiesparkonzept: Alle im Gemeindezentrum befindlichen Objekte und Anlagen wurden energetisch optimiert mit dem Ergebnis, dass die Ausgaben für Energie im Gemeindebudget halbiert wurden. Und innerhalb von wenigen Jahren konnte die Gemeinde ihre Einnahmen von 400.000 Euro auf 1,4 Millionen Euro erhöhen.

Internationale Kooperation

Forschung und Ausbildung sind zu wichtigen Säulen des "Güssinger Modells" geworden. Forscher aus 27 Nationen arbeiten derzeit an Projekten. Im Zentrum der Innovationen stehen synthetische Treibstoffe, die im Vergleich zu Treibstoffen der ersten Generation wie Biodiesel die vierfache Effizienz haben, ebenso wie die Bereiche Kälte-Technik und Solarenergie. Vor kurzem wurde der Grundstein für eine Produktionsstätte von Solarzellen gelegt. Der Baukran für eine Naturfarbenfabrik, in der u. a. aus Holunder und Ribisel Farben für die Lebensmittelindustrie erzeugt werden sollen, ragt bereits in den Himmel. Ein weiteres innovatives Projekt ist eine "Öko-Strombörse", um den Anteil des Ökostroms im Gesamtstromnetz zu steigern.

Durch den starken Fokus auf erneuerbare Energien entstanden in der Region auch neue Berufsfelder: Sie reichen vom "Energiemanager" bis zum "Solarteur". Ausbildungsstätten sind das Gewerbegymnasium Güssing ebenso wie die HTL Pinkafeld und das Europäische Zentrum für Erneuerbare Energie, kurz EEE.

Arbeit, aber für Spezialisten

Das EEE wurde als europaweite Koordinationsstelle für erneuerbare Energie in Güssing gegründet. Mit Partnern aus ganz Europa werden nachhaltige, regionale Konzepte zur Nutzung erneuerbarer Energieträger entwickelt. "Wir beschäftigen zahlreiche Akademiker", erzählt Koch, "das heißt, dass wir klugen Köpfen die Möglichkeit geben, in der Region zu bleiben und nicht wie in der Vergangenheit auspendeln zu müssen." In einem Netzwerk aus Forschung, Entwicklung, Dienstleistung und Umsetzung werden Produkte aus dem Bereich der erneuerbaren Energie nach ganz Europa, so zum Beispiel nach Frankreich, Deutschland, Spanien, in die Slowakei und Polen sowie nach Kanada verkauft.

Die Güssinger haben die Zeit der EU-Subventionen optimal genutzt. Durch ein spezielles Betriebsansiedlungsprogramm gelang es, zirka 50 neue Betriebe mit mehr als 1100 neuen Arbeitsplätzen anzusiedeln. Güssing wurde so unter anderem zu einem Zentrum im Bereich der Parkettherstellung, der Laubholztrocknung und der Umwelttechnologien.

"Holz ist wieder was wert!"

Vieles hat sich in Güssing zum Besseren gewendet. Gut ist dennoch nicht alles: Trotz neuer Betriebe gibt es noch immer eine relativ hohe Arbeitslosigkeit. "Wir stellen fast ausschließlich speziell ausgebildete Arbeitskräfte ein", sagt Joachim Hacker vom EEE, "viele müssen weiterhin auspendeln." Und erst vor wenigen Monaten wurde die Geburtenstation im Güssinger Krankenhaus geschlossen. Heute kommen im Bezirk auf ein Neugeborenes drei Todesfälle.

Der Weg zum bisher Erreichten in Güssing war lang und gepflastert mit hunderten Terminen in Brüssel, Wien und Eisenstadt, erinnern sich die Haupt-Protagonisten Koch und Vadasz. Die erste Anlage war eine Biodieselanlage; 1996 folgte eine Hackschnitzelanlage, damals die größte Biomasseanlage Österreichs und auch heute noch eine der drei größten Anlagen der Republik. Verwendet wird Holz aus der Region. Die Größe des Projekts erforderte auch eine professionelle Holzlogistik: Um sicherzustellen, dass nur Hackgut aus der Gegend verwendet wird, hat man in Kooperation mit dem Burgenländischen Waldverband eine Holzerzeugungskette aufgebaut und über langfristige Verträge abgesichert. Die sind auch für die regionalen Waldbesitzer ein Vorteil: "Der Rohstoff Holz ist endlich wieder etwas wert", sagt Revierförster Alexander Thuroczy: "Es gibt einen Markt und einen Preis."

2008 wird es in den burgenländischen Heizwerken einen Gesamtbedarf von 250.000 Tonnen geben, schätzt Peter Traupmann, Geschäftsführer der Bioenergie Burgenland Service GmbH. Ein interessanter neuer Brennstoff sind auch die "Kurzumtriebshölzer". Gemeint sind auf landwirtschaftlichen Flächen gepflanzte Holzarten wie Weide und Pappel, die nach drei bis fünf Jahren gefällt werden und ausschließlich der Energieproduktion dienen.

Mittlerweile sind 99 Prozent der Güssinger Haushalte an die Fernwärme angeschlossen. Für Reinhard Koch ist Güssing allerdings bereits eine zu kleine Dimension, er träumt von einem energie-autarken Burgenland bis zum Jahr 2013: "Wir brauchen eine dezentrale Energieversorgung, denn das bedeutet eine Dezentralisierung der Macht und der Geldströme - das ist für die Regionen eine echte Chance."

Die Autorin ist freie Journalistin.

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