Werbung
Werbung
Werbung

Rafik schami führt in seinem neuen roman in ein wunderland des erzählens.

"Zivilisation ist nichts anderes als die Summe aller Fehlerquellen", sagt Hamid Farsi, der berühmte Kalligraph und hintergangene Ehemann dieser Geschichte, ein kluger Mann, dessen bedingungslose Liebe zur Schrift und dessen Stolz auf das eigene, überwältigende Talent ihn blind werden lassen für menschliche Schwächen. 1953 beginnt ein kurzes demokratisches Kapitel in Syriens politischer Geschichte, ein Tauziehen zwischen Demokratieanhängern und Fundamentalis- ten. Welche Rolle dabei die Kunst der Kalligraphie und die Überlegungen über eine Modernisierung der Schrift spielen, erzählt Rafik Schami in seiner Geschichte über den Künstler Ibn Muqla, der vor tausend Jahren Kunstschriften erfand und eine Vereinheitlichung anstrebte, die zum Siegeszug des Arabischen und des Koran mit beitrug. Wenn man an die tatsächlichen Schwierigkeiten der jungen Türkei und der Schriftverbote durch Kemal Atatürk denkt, wird auch verständlich, warum Kalligraphen plötzlich von Staatsmännern gefürchtet wurden.

Ein Reigen starker Figuren

Mit Nura und Salman, dem liebenden Paar, sind Rafik Schami zwei wunderbare Charaktere geglückt. Der in den armseligen Verhältnissen des Gnadenhofes aufwachsende Christ Salman, dessen Schulbildung die fast gleichaltrige Sarah übernimmt, kennt die verlotterten Gegenden der Hauptstadt, in denen Juden, Christen und Muslime in überfüllten Elendshäusern wohnen. Aber er ist bald auch in den Straßen der angesehenen Handwerker daheim, in den Vierteln, die Nura, der Tochter eines liberalen Mullahs, vertraut sind. Nura darf zwar nicht studieren, aber nach einer guten Schule den Beruf der Schneiderin erlernen, bevor ihre Mutter sie als Braut dem Kalligraphen Hamid Farsi zuführt.

Ein Reigen starker Figuren umgibt das Paar und die federführenden Händler in diesem farbenprächtig geschilderten Damaskus. Nicht nur die Ultraorthodoxen agieren im Dunklen, auch die geheimen Schachzüge einiger Frauen beeinflussen das Spiel der Mächtigen. Seinem Lieblingsbuch, den "Erzählungen aus 1001 Nacht" zollt Schami Tribut. Er schafft es, die Opulenz des Orients für europäische Leser zu portionieren, ohne dass je die Qualität des Textes beeinträchtigt oder die Dichte der Schilderungen verdünnt wird.

1946 in Damaskus geboren, musste Rafik Schami 1971 fliehen. In Deutschland lernte er Deutsch, studierte Chemie. Schriftsteller hatte er immer werden wollen, der Entschluss, nicht in der Muttersprache zu schreiben, reifte im wiederholten mündlichen Erzählen seiner Geschichten. Was Rafik Schami zu einem ganz besonderen deutschsprachigen Schriftsteller macht, ist nicht sein "Orientalismus", sondern dieses tiefe Vertrauen in die Macht der Sprache, das Wissen, dass Erzählen und Zuhören gleichermaßen eine Welt aufbauen und Kulturen erhalten.

Das Geheimnis des Kalligraphen

Roman von Rafik Schami Kalligraphie von Ismat Amiralai Hanser 2008. 459 S., geb., € 25,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung