Farbtupfer für jedes Alter

Werbung
Werbung
Werbung

Wann beginnt das Lesenlernen? Mit dem Lernen des Alphabets, dem Lesen von Buchstaben -oder doch viel früher: mit dem Lesen von Bildern, dem Erkennen und Verstehen von Zeichen und Symbolen und ihrer möglichen Bedeutung? Diese Tasche mit dem Apfel darauf gehört mir, weiß das Kind im Kindergarten, diese Spur im Schnee hinterließ ein Hase und kein Vogel, dieses rote Licht bedeutet "stehen bleiben", diese Wolke sieht aus wie ein Schaf, jene wie ein Drache -und jene wie ein Gewitter, das bald aufziehen wird ...

Ein solches Spurenlesen und Bedeutungsgeben beginnt früh und wird jede und jeden dann durchs ganze Leben begleiten, samt Fragen wie: Wer gibt welchem Bild warum welche Bedeutung? Was bewirken Bilder? Hinterlistig erzählen Bilder zum Beispiel in der Werbung ihre Geschichten. Diese Geschichten zu erkennen -das heißt, sie auch als Fiktionen lesen zu können, die eine bestimmte Wirkung beabsichtigen -, dieses Lernen beginnt vielleicht schon im Bilderbuch, diesem immer noch unterschätzten Kunstwerk.

Galerie statt Gebrauchsecke

Vielleicht hat sich der erhobene pädagogische Zeigefinger von anno dazumal allzu tief in das Gedächtnis gebohrt, dass -trotz der vielen gegenwärtigen Gegenbeweise -die Kinder-und Jugendliteratur in der Öffentlichkeit auch heute noch nur schwer den Weg aus der pädagogischen Gebrauchsecke findet. Dabei wäre der angemessene Ort vieler Publikationen viel eher die Galerie: So manches Bild könnte man als Kunstwerk an die Wand hängen, und es ist weit mehr als eine bloße Illustration eines Textes. Bilder erzählen gerne neben der Geschichte des Textes ihre eigene Geschichte mit, mehr noch: eröffnen zu entdeckende Seitengeschichten, denen man, den Text verlassend, folgen kann, Geschichten, die sich bei jedem Ansehen anders und neu erzählen lassen. Kinder wissen nicht selten besser, wie das geht. Hier beginnt das Wiederlesenlernen der Erwachsenen. Bilderbücher wie jene, die im BOOKLET mit dem Lektorix ausgezeichnet werden, wenden sich oft nicht nur an die des Lesens von Buchstaben noch nicht kundigen jungen Betrachter, sondern auch an deren ältere Vor-und Mitleser.

Gerade die scheinbare Einfachheit der Texte für Kinder und Jugendliche erfordert viel Sprachkunstfertigkeit. Umso unverständlicher ist die mangelhafte Präsenz gelungener Beispiele in Literaturbeilagen und -sendungen. "Für mich ist das eine Frage hundertmaliger Überarbeitung", erzählte Renate Welsh in einem FURCHE-Interview. "Ich frage mich immer wieder: Muss das sein oder kann man das weglassen? Ich bilde mir ein, dass alles das, was man einmal formuliert und weggelassen hat, als eine Art Farbtupfer im Text drinnen bleibt."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung