Faschingskleider der Geschichte

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Eine energiegeladene Inszenierung ist Badoras "Fasching" am Volkstheater. Der Romanvorlage wird sie aber nicht gerecht.

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Eine energiegeladene Inszenierung ist Badoras "Fasching" am Volkstheater. Der Romanvorlage wird sie aber nicht gerecht.

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Regisseurin und Intendantin Anna Badora eröffnet ihre erste Volkstheater-Spielzeit mit der Dramatisierung von Gerhard Fritschs Antiheimatroman "Fasching" aus dem Jahr 1967. Badora zeigt damit klar die Linie des Hauses: Politisch soll es sein, risikofreudig und fokussiert auf österreichische Literatur und Zeitgeschichte.

Mit der Bühnenfassung von Fritschs Roman präsentiert die Eröffnungsproduktion ein gewagtes Projekt, nicht zuletzt gilt das Buch als Herausforderung "mit seinen vielen Stimmen und Finten" und der Unklarheit "wer da nun spricht oder sinnt oder Sprache rinnen lässt oder sonstwie behandelt. Schon die Lektüre des Fasching im stillen Kämmerlein ist nicht ohne Anstrengung und Überwindung zu bestreiten, da geht es hinunter und hinauf, vor und zurück, wer ist wer und wie lange noch warum", schreibt der Wiener Antiquar Georg Fritsch, der älteste Sohn des Autors.

Tatsächlich handelt es sich bei "Fasching" um einen Schlüsselroman der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Denn Fritsch erzählt von den Anpassungsmanövern, Travestien und Verkleidungen, die Österreich innerhalb weniger Jahrzehnte vorgenommen hat: Von der Monarchie in den Ersten Weltkrieg, von der Ersten Republik in das Dollfuß-Schuschnigg-Regime, vom "Anschluss" an Nazi-Deutschland und dem Weg in die Zweite Republik.

Österreichs neue Kleider wurden allzu schnell gewechselt: Monarchie, Demokratie und dazwischen zwei totalitäre Regime. Für Fritsch ist Österreich selbst die Faschingsprinzessin. Zugleich ist der Fasching ein Ausnahmezustand, wie der Krieg auch, wo sich das Innerste der Menschen nach außen kehrt.

Täuschung bedeutet alles

Intendantin Anna Badora hat selbst die Regie für die erste Produktion übernommen: Sie betont die vielen Ebenen der Maskerade und bezieht sich damit auch auf das spezifisch Theatrale dieses Epochenromans. Denn Täuschung bedeutet hier alles: Karriere-und Überlebensmittel.

Der 17-jährige desertierte Frontsoldat Felix Golub gerät in die Fänge der sadomasochistischen Generalswitwe und Miederfabrikantin Vittoria Pisani, die ihn zwar schützt, indem sie ihn in Frauenkleider steckt und ihm eine weibliche Identität verschafft, zugleich aber nötigt sie den verängstigten jungen Mann, ihr Liebhaber und Schoßhündchen zu werden. Golub wird zum Retter der Stadt: Als abrückende NS-Einheiten die Brücken sprengen wollen, zwingt er - verkleidet in seiner Rolle als Dienstmädchen Charlotte Weber - den Kommandanten, die Kapitulation zu befehlen.

Anstatt zum Helden aufzusteigen, wird Felix Golub denunziert und gerät in Kriegsgefangenschaft. Zwölf Jahre später kehrt er zurück, soll er doch das Fotogeschäft seines früheren Freundes Raimund übernehmen. In der Kleinstadt hat sich wenig geändert, nur die Rollen der Entscheidungsträger wurden getauscht: Der ehemalige Bürgermeister ist nun der Bäcker, der frühere Ortsgruppenleiter der Schuldirektor.

Als Felix' Verlobte Hilga ankommt und Vorbereitungen für die gemeinsame Zukunft trifft, gerät das neue Gleichgewicht in eine katastrophale Schräglage. Der immer noch als Feigling verstandene ehemalige Deserteur und Kriegsheimkehrer wird zusehends unter Druck gesetzt, bis er am Ende, beim Faschingsfest, erneut bedroht und schließlich von Vittoria versteckt wird. Felix' Situation scheint genauso aussichtlos wie vor zwölf Jahren, doch die Kraft der inneren Bilder und die Verve von Fritschs dichter, assoziativer Sprache lässt sich schwer für die Bühne übersetzen.

Als routinierte Regisseurin weiß Badora um diese Schwierigkeit: Sie doppelt die Figur des Felix Golub, gibt ihm ein zweites Ich, das die inneren Vorgänge und Monologe künstlerisch überhöht und nach außen kehrt: Der Puppen-und Schauspieler Nikolaus Habjan übernimmt die Rolle des verzweifelten Felix', wenn er sich selbst bei den zahlreichen Demütigungen beobachtet und kommentiert. Die Puppe ist Zeichen der Dissoziation des jungen Mannes in einer Welt der ständigen Verwandlung, Verfolgung und Vergewaltigung.

Habjan bringt intime, magische Momente in diese energiegeladene Inszenierung, deren Akteure vor Spielfreude strotzen, jedoch kaum subtile Augenblicke zulassen. Vor allem Nils Rovira-Muñoz als Felix ist stark im Klischee besetzt, sodass man dem zarten Darsteller äußerlich die Rolle des Dienstmädchens zwar abnimmt, ansonsten bleibt die Figur blass.

Umso stärker tritt Stefanie Reinsperger hervor, sie - "Schauspielerin des Jahres" - hat sich vom Burgtheater verabschiedet und reüssiert in "Fasching" als bodenständiges Mädel Hilga. In beeindruckender körperlicher Durchlässigkeit repräsentiert sie jenen Zukunfts-und Wiederaufbauwillen, der das Verdrängen miteinschließt. Adele Neuhauser, bekannt als Wiener "Tatort"-Ermittlerin, gibt die herrschsüchtige Fabrikantin Pisani, allerdings nimmt man ihr die Eiseskälte dieser gierigen Frau nicht ab.

Reduziertes Bühnenbild

In der Bühnenfassung von Anna Badora und ihrem Chefdramaturgen Roland Koberg zeigen sich die Macht- und Herrschaftsspiele in erster Linie auf sexueller Ebene. Der Terror der Nazis wird scheinbar nahtlos in privaten Erniedrigungsritualen und SM-Praktiken fortgeführt. Das Zeithistorische verkommt zu malerischem Hintergrund. Von jener Verzweiflung und Zwietracht, von der Fritsch im Gedicht "Österreich" schreibt, ist in der Inszenierung wenig zu spüren, ebenso wie von Felix' Foto-Serien, mit welchen er versucht, eine persönliche und österreichische Geschichte zusammenzusetzen. Bühnenbildner Michael Simon hängt im Volkstheater Schwarz-Weiß-Bilder mit schlichten, reduzierten Zeichnungen: Ein Frauen-Torso behauptet die Miederfabrik der Vittoria Pisani, eine Kamera etabliert das Fotoatelier, und ein Soldat steht für eine ganze Kompanie.

Überdeutlichen weisen Regie und Bühne auf Gut und Böse hin, als wäre es immer klar und trotz den Maskeraden sichtbar, wo die Monster wohnen. Nach drei Stunden zollt das wohlwollende Premierenpublikum dem neuen Team freundlichen Applaus, künstlerisch-ästhetisch hat das Volkstheater jedoch noch reichlich Spielraum nach oben.

Fasching

Volkstheater 18., 19., 20., 26. Sept.

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