Faschismus, gegenwärtig

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Der Faschismus mag irrational und ideologisch widersprüchlich sein. Dafür ist er umso bestimmter in seiner Ablehnung jeder Form der Gleichberechtigung der Frau.

Am 12. März vor achtzig Jahren verschwand Österreich von der Landkarte, knapp 800 Jahre nach seiner Entstehung. Es wurde geschluckt vom "Tausendjährigen Reich" Hitlers, das nach 12 Jahren seinerseits unterging, nachdem es Europa in ein blutendes Mord-und Schlachthaus verwandelt hatte. Die Überlebenden und Nachkommen des Terrors, so sie nicht aufhörten zu fragen und zu denken (wie viele es taten), fragen sich seither immer wieder: Kann es wieder passieren? Gewöhnlich gibt es auf diese Frage zwei Spruchformeln, eine inoffizielle und eine offizielle. Die inoffizielle ist "Lasst uns das Vergessen und an die Zukunft denken", die offizielle ist ein Appell: "Nie wieder!" Keine der beiden Floskeln beantwortet die Frage. Und vielleicht gibt es auch keine erschöpfende Antwort, es sei denn, wir sehen einmal nicht auf das, was sich seit damals verändert hat, sondern auf das, was sich nicht verändert hat.

Was ist also vom Faschismus noch da? Umberto Eco enthüllte dieses Überleben in einem gerade dieser Tage wieder vielgelesenen Essay über den "Urfaschismus". Demzufolge muss man sich gar nicht als Faschist begreifen, um dennoch ein Faschist zu sein. Das deshalb, weil sich der Faschist zunächst auf der Ebene allgemein akzeptierter Werte ortet. Er sieht sich heimatverbunden, pflichtbewusst, ordnungsliebend und familiengebunden.

Wert-gefährdung und Wert-Verdrehung

Allerdings sieht er diese Werte gefährdet, und will sie quasi durch einen gesellschaftlichen Rückwärtsüberschlag wiederherstellen. So entwickelt er Fremdenhass, Lagerdenken, eine Bereitschaft, Verschwörungstheorien zu glauben und eine hermetische Weltsicht, in der Selbstkritik nicht mehr vorkommt. Wenn Adolf Hitler ruft, "wir wollen keine niedrigeren Brotpreise, wir wollen keine höheren Brotpreise, wir wollen keine gleichen Brotpreise, wir wollen nationalsozialistische Brotpreise!", dann zeigt sich darin exakt dieser selbstgenügsame Non-Sense verbunden mit einem schablonenartigen New-Speak. Davon glauben wir uns heute befreit. Aber steht nicht auch hinter der Argumentation, Flüchtlinge würden den Untergang des Abendlandes verursachen, ein absurdes Elitedenken? Wird hier nicht eigentlich mit der Reinheit von Völkern und Religionen argumentiert und mit der Verschmutzung dieser Reinheit durch Minderheiten?

Manneskult und genderbashing

Die zweite Überlieferung des Faschismus ist der Manneskult in der Politik: Nicht umsonst zitieren Donald Trump und Silvio Berlusconi Benito Mussolini. Nicht umsonst zeigt sich Wladimir Putin in den gleichen Posen wie der Duce. Als kampfbereiter, sportlicher Recke mit nacktem Oberkörper, potent und heroisch. "Männer machen Geschichte" war Mussolinis Glaubensbekenntnis. Auch heute machen Männer Geschichte, indem sie die Politik zum skurrilen Schaukasten ihrer Männlichkeit machen.

Das führt zur dritten Kontinuität . Der Faschismus ist irrational und ideologisch beliebig, aber umso bestimmter in seiner Gegnerschaft zur Gleichstellung: "Die Frau darf in unserem Staat nichts zählen!", ruft etwa Mussolini. Hitler bezeichnet die Emanzipation als Teil der jüdischen Verschwörung. Wer solches heute behaupten würde, würde selbst von Erzreaktionären gegeißelt werden. Aber so selbstverständlich wie der Exzess vorbei ist, hat sich das Generalproblem erhalten. Zum Internationalen Frauentag gedenken wir eines Gehaltsunterschieds von 11 bis 35 Prozent. Die Empörung hingegen richtet sich nicht dagegen, sondern gegen gegenderte Rechtschreibung. Wenn man also Faschismus als ein verzweifeltes Aufbegehren des Patriarchats verstehen will, dann muss man feststellen, dass es bis heute begehrt und neu begehrt wird in der Triade Unbewusstheit, Manneskult und Gender-Bashing. Die Frage ist also nicht: "Kann Faschismus wieder passieren?" Sie lautet: "Warum sichern so viele sein Überleben?"

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