Faschistischer Emigrant

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Guido Zernatto, Politiker des Ständestaates, aus Kärnten stammender Lyriker, wäre am 21. Juli 100 Jahre alt geworden. Annäherung an eine schillernde Persönlichkeit.

Im Mai 1936 wurde Guido Zernatto aus einer Lesung zu Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg gerufen, der ihm die Ernennung zum Generalsekretär der Vaterländischen Front im Rang eines Staatssekretärs mitteilte. Als Leiter dieser in alten Filmen heute lächerlich anmutenden staatstragenden Einheitspartei war der Dichter über Nacht zum zweiten Mann im Staat geworden. Er stürzte sich mit Verve in die neue Aufgabe: "Wer zu uns will, wer mit uns für das unabhängige, selbständige, christliche, deutsche, berufständisch organisierte Österreich kämpfen will, findet eine offene Tür. Wer sich für dieses Programm nicht erwärmen kann, der weiche uns besser aus." Ein ähnlicher Ton klingt aus dem Gedicht "Der Drusch": "Verschone uns, Herr, vor Unfrieden im Haus / Und schlage die Faulen und Falschen hinaus."

Schollenmystik

Zernattos Lyrik muss heute ebenso anrüchig erscheinen wie sein politischer Weg: Sie spielt auf das bäuerliche Haus als Vorbild für den Staat an, sie beschwört bisweilen die damals gängige Schollenmystik, doch politisch im engeren Sinn ist sie nicht. Immerhin wurde Zernatto 1930 als Gewinner eines Preisausschreibens der Dresdner Kolonne bekannt, einer dezidiert unpolitischen Zeitschrift, die neben Peter Huchel oder Günter Eich Österreicher wie Richard Billinger, Karl Heinrich Waggerl und Theodor Kramer präsentierte. Der Juror Hermann Kasack bescheinigte den prämierten Gedichten, sie seien von "keiner ideelichen Metaphysik belastet, sondern ganz der Natur und den bäurischen Lebensdingen hingegeben". Noch im selben Jahr erschien Zernattos erster Gedichtband "Gelobt sei alle Kreatur", 1933 kam im völkischen Großverlag Staackmann der zweite Band "Die Sonnenuhr" heraus, ein Jahr später der Roman "Sinnlose Stadt", dessen Titel Programm ist: Ein Bauernsohn erkennt, dass er auf dem städtischen Pflaster verkümmert, und kehrt heim zur Scholle.

Guido Zernatto freilich dachte nicht daran, diesem Beispiel zu folgen. Gebürtig aus dem Südkärntner Treffen, Spross einer durch Holzhandel und Marmelade ("Pomona") reich gewordenen Bauernfamilie, kümmerte er sich in Wien zielstrebig um eine politische Karriere. Seine diesbezügliche Initiation hatte er mit fünfzehn als Freiwilliger im Kärntner "Abwehrkampf" erlebt: Der Feind war nicht nur die jugoslawische Armee, auch das Rote Wien, von dem man sich im Stich gelassen fühlte, wurde zum roten Tuch. Das hinderte Zernatto jedoch nicht, sich vom (jüdischen) Sozialdemokraten Theodor Kramer seine erste Dichterlesung in der tiefroten Volkshochschule Ottakring verschaffen zu lassen. Die beiden politischen Antipoden wurden Freunde, Zernatto lehnte sich auch in seiner Lyrik an den älteren Kollegen an.

Gegen Rot und Braun

Im Jahr seines Durchbruchs in der Kolonne hatte Zernatto einen zweiten Grund zum Feiern: Bei den Nationalratswahlen heimste der heimwehrnahe "Heimatblock" mit ihm als Generalsekretär auf Anhieb acht Mandate ein. Zernatto ging dann im Streit, heiratete reich, wurde unter Dollfuß Leiter des Bundesverlages und kümmerte sich um die Ausmusterung missliebiger Literatur - also Kramer und Konsorten - aus den Arbeiterbüchereien. Als Staatssekretär und zuletzt Minister des Ständestaates hat Zernatto den Zweifrontenkrieg gegen die Roten und die Braunen bis zum bitteren Ende verfochten. Noch in der Nacht des 11. März 1938 flüchtete er mit seiner Frau nach Preßburg, kam schließlich über Paris nach New York, wo er 1943, noch nicht vierzig, seinem Herzleiden erlag. Ihm habe er es "nie verziehen, daß er Faschist wurde", schrieb Kramer später. Annäherungsversuche habe er ignoriert: "Ich bin ein demokratischer Emigrant. Faschistische Emigranten haben halt Pech gehabt." Aber: "Einige Gedichte von Zernatto sind einfacher und schöner als das, was ich auf diesem Gebiet geschrieben habe."

Guido Zernatto schrieb über Naturgewalten und den Einbruch des Unheimlichen, über Jahreszeiten, Tiere und die Landarbeit, weshalb der notorische Neidhammel Weinheber ihn "Mistgabellyriker" nannte. Seine Strophen sind gereimt, seine Sprache ist durchsetzt von Dialektwörtern. Zernattos Werk ist eine Liebeserklärung an die Schöpfung, die Kreatur, auch an die Armen, deren Not er nicht beschönigt und deren Kollidieren mit der katholischen Moral er verständnisvoll beschreibt - in Rollengedichten wie "Brief einer Schwangeren" oder "Bitte einer gekündigten Magd". Über die letzten Dinge spricht er schlicht wie die Magd in "Jetzt poltert am Gepranter schon der Tod": "Sehr zeitig werden alle auf der Leiten / Dem Bauer nach durch Schnitt und Stoppeln schreiten. / Am Montag früh. Und ich - geh nicht mehr mit." Bei allem Konservativismus leisten Zernattos Gedichte jene Vermählung von Wunder und Sachlichkeit, die der Kreis der Kolonne (gegen die Gebrauchslyrik eines Erich Kästner) forderte. Nur hie und da blitzt in persönlichen Versen der Zwiespalt des Dichter-Politikers auf, die Selbstentfremdung, der Druck: "Ich möcht den Kirchturm schütteln, daß die Glocken stöhnen", heißt es in "Die Wut".

Für Slowenen-Autonomie

Dass er die Kirche stets im Dorf gelassen hat, schadet ihm heute. Dass er ein Patriot war und kein Nationalist, nützt ihm wenig. Dass er schon 1925 gegen die "eigenen" Leute für eine Kulturautonomie der Kärntner Slowenen eingetreten ist, dass er im Exil eine kluge Analyse des Nationalitätenproblems und ein modernes Europa-Konzept verfasst hat, weiß kaum einer. Als einer der wichtigsten heimischen Lyriker des letzten Jahrhunderts ist er verkannt. Als Vertriebener ("Herz, das leer ist wie ein ausgeweintes Weib"), als Opfer Hitlers sowieso. Faschistische Emigranten haben halt Pech gehabt.

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