Fast schon eine Art Grundnahrungsmittel"

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Beda M. Stadler, Medizin-Professor an der Universität Bern, über die "absolute Scheinheiligkeit" des Kampfes gegen Doping.

Die Furche: Herr Professor Stadler, an der Tour de France wurden drei Radprofis überführt, mit Cera - einem ganz neuen Epo-Mittel - gedopt zu haben. Den Nachweis ermöglicht hat der Hersteller Roche. Überrascht Sie diese Allianz zwischen Pharmaindustrie und Doping-Behörden?

Beda M. Stadler: Nein, überhaupt nicht. Der Laie meint ja: Die Pharmafirmen fördern das, um ein Geschäft zu machen. Ich bin nicht auf der Seite der Industrie. Aber die paar Sportler bringen nicht die großen Umsätze. Und wenn die Epo-Hersteller jetzt den Dopingkontrolleuren helfen, dann natürlich auch, um ihr angeschlagenes Image aufzupolieren.

Die Furche: 11 Milliarden Dollar hat die Industrie letztes Jahr mit Epo-Mitteln umgesetzt. Wer braucht denn dieses Medikament?

Stadler: Für Krebspatienten etwa bietet es eine massive Steigerung der Lebensqualität. Die Müdigkeit verschwindet; die Libido ist wieder da. Auch Nierenkranke nehmen Epo über sehr lange Zeit. Ein Vorteil dabei ist: Das Medikament hat kaum Nebenwirkungen.

Die Furche: Heißt das, Epo ist nicht gesundheitsschädlich?

Stadler: Nein, Epo schadet nicht. Ich würde es auch gerne für mich nehmen - gegen die Altersanämie. Viele ältere Leute haben ja zuwenig rote Blutkörperchen. Wenn die Epo nähmen, wären sie fitter und könnten leichter wieder Treppen steigen.

Die Furche: Und für Spitzensportler, sollen die Epo bekommen?

Stadler: Da muss man weiter ausholen. Wir akzeptieren ja quasi Gen-Doping …

Die Furche: Was soll das heißen?

Stadler: Wenn jemand einen Gen-Defekt hat und zu groß gewachsen ist, dann qualifiziert er sich für eine Basketballmannschaft; wenn jemand einen anderen Gen-Defekt hat und kleinwüchsig ist, dann kann er Pferde-Jockey werden.

Die Furche: Ja, es gibt diese natürlichen Unterschiede - und?

Stadler: In manchen Sportarten haben wir begriffen, dass das nicht so geht. Beim Boxen etwa gibt es viele verschiedene Gewichtsklassen. Da lässt man einen Kleinen nicht gegen einen Großen los. Aber beim Radsport haben wir nur zwei Kategorien: Frau oder Mann. Wenn jemand aber ein Gen-Defekt hat und mehr Epo produziert - und das gibt's! - so ist das doch nicht fair.

Die Furche: Man soll also im Radsport verschiedene Klassen nach der Menge an roten Blutkörperchen machen?

Stadler: Nicht nur. Man kann ja mehrere Parameter berücksichtigen: Etwa auch das Lungenvolumen. Oder das Gewicht. Schauen Sie sich doch die Rennen an: Zurzeit gewinnen nur die kleinen Fliegengewichte Bergetappen. Und jene mit den massiven Oberschenkeln gewinnen das Zeitfahren.

Die Furche: Und Sie glauben ernsthaft, dass mehr Kategorien das Doping unterbinden?

Stadler: Zuerst einmal denke ich, ist es wichtig, dass biologische Fairness geschaffen wird - eben durch eine Einteilung in Kategorien. Und dann müssen wir ernsthaft fragen: Welche Hilfsmittel wollen wir haben und welche nicht.

Die Furche: Was wären sinnvolle Kriterien für erlaubte Mittel?

Stadler: Jedes Medikament, das die Gesundheit des Sportlers gefährdet, sollte man nicht zulassen. Der Spitzensport allein ist ja schon körperschädigend genug.

Die Furche: Ihrer Philosophie nach müsste Epo zugelassen werden?

Stadler: Ja, eigentlich schon. Und man sollte zu den Medikamenten, die man nimmt, auch öffentlich stehen. Wie in der Formel 1. Da sieht man: Die fahren mit Reifen von Bridgestone oder Michelin. Und dann könnte man sagen: Okay, diesmal wurden die ersten zehn Ränge von Novartis-Sportlern belegt. Das würde das Ganze doch sehr entkrampfen.

Die Furche: Ist der Sport denn zurzeit so verkrampft?

Stadler: Das Ganze ist doch eine absolute Scheinheiligkeit. Da kommt ein Radrennfahrer, der daheim Kind und Familie hat, ins Ziel. Er hat gespritzt wie alle anderen auch. Aber er ist der Blöde, weil man ihn erwischt. Er wird vor laufenden Kameras in den Polizeiwagen gesetzt und wie ein Krimineller ins Gefängnis abgeführt - was soll denn das?!?

Für Ines Geipel, ehemalige DDR-Spitzensportlerin und Buchautorin, hat Doping im Spitzensport "System".

Die Furche: Frau Geipel, bei der Tour de France dieses Jahr wurden vier Fälle von Doping aufgedeckt, drei davon waren Epo-Doping …

Ines Geipel: In meinen Augen ist die Tour de France eine Art "Opferstock", mit dem man das Publikum langsam an das Thema Doping gewöhnt. Die Medien sagen: "Es waren eh nur drei Fälle" und das Publikum antwortet: "Wir wissen ohnehin, dass gedopt wird." Dieser Zynismus, der sich immer stärker ausbreitet, ist fatal.

Die Furche: Allerdings wurden auch jene, die des Dopings überführt wurden, lautstark ausgebuht. Wie erklären Sie sich das?

Geipel: Ich finde es entsetzlich, wenn ein einzelner Athlet skandalisiert wird, obwohl ein gesamtes System dahintersteht. Zuerst treibt man das System an, pumpt Geld hinein, und dann sagt man plötzlich zu einem Athleten: "Mann, wie dreckig du bist!" Dabei muss man bedenken, dass das meist junge Leute sind. Sie sind zwar hoch talentiert, aber auch unerfahren und verführbar für schnelles Geld und Renommee. In jedem Fall ist es gut für die Medien. Bei diesem Doppelspiel haben sie entweder einen Sportler als "Gewinner" oder einen als "Triebtäter".

Die Furche: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Epo mittlerweile sechsmal häufiger für Dopingzwecke missbraucht wird als zur Behandlung von Nierenkranken. Woher wissen Sie das?

Geipel: Das stammt aus einer Studie der WADA (Anm. World Anti-Doping Agency). Und solche Zahlen lassen sich relativ leicht aus den Umsätzen der Pharma-Konzerne ableiten. Epo spielt heute nicht nur im Spitzensport, sondern auch im Fitnesssport eine Rolle. In der Leichtathletik in Amerika wird mit Epo das Training bestritten. Es ist fast schon eine Art Grundnahrungsmittel geworden. Gleichzeitig kommen erst jetzt die ersten Studien über Nebenwirkungen, die etwa zeigen, dass Epo krebserregend ist. Man merkt immer stärker, dass die Pharma-Industrie den Sport fest im Griff hat und sich dort wirklich ein Markt geschaffen hat.

Die Furche: Was meinen Sie mit "Markt geschaffen"? Man hat doch eher das Gefühl, dass es gar nicht so viele Spitzensportler gibt.

Geipel: Ich meine vor allem den kommerziellen Bereich, wo sich viel Geld machen lässt. Etwa bei Mannschaftssportarten wie Fußball - wir hatten ja gerade die schöne EM. Experten wissen genau, dass auch schon im Fußball sehr viel herumexperimentiert wird, aber man berichtet nicht darüber. Ich denke, dass ein Spiel, das permanent seine eigenen Regeln verletzt, irgendwann seinen Wert verliert.

Die Furche: 2007 wurden laut WADA 24 Fälle von Epo-Doping überführt. Eigentlich sehr wenige.

Ines Geipel: Das hat mit den vielen Epo-Arten am Markt zu tun.Die Labors wissen gar nicht mehr, wonach sie suchen sollen. Bei Epo gibt es mindestens zehn verschiedene Substanzen, die offiziell als Medikamente vertrieben werden. Was in kleineren Labors illegal produziert wird, kann man nur vermuten. Da hinkt die chemische Analytik enorm hinterher.

Die Furche: Wie könnte man die Situation verbessern?

Ines Geipel: Man könnte auf verschiedenste Weise etwas tun, etwa die Politik stärker unter Druck setzen - nur wird das im Moment nicht wirklich gewollt. Der Trend geht immer stärker in Richtung Verdrängung. Der australische Forscher und Doping-Experte Robin Parisotto schlägt zum Beispiel vor, dass ein Pharma-Konzern, der eine neue Substanz auf den Markt bringt, auch gleich einen Test dazu vorweisen muss. Denn genau hier wird so viel Zeit verloren, weil die Doping-Labors mittlerweile die Hälfte der Substanzen gar nicht kennen.

Die Furche: Die Olympischen Spiele beginnen in ein paar Tagen. Wie werden Sie die Spiele mitverfolgen?

Ines Geipel: Hat man in dem System selbst bittere Erfahrungen gesammelt, beobachtet man natürlich genauer. Und wenn man einen 18-jährigen Athleten sieht, ist vor allem die Sorge und der Zorn da, wenn dieser junge Athlet missbraucht wird. Meine Dosis Olympia muss ich mir jedenfalls noch sehr genau überlegen.

Die Gespräche führte Thomas Mündle.

Mitarbeit: Amina Beganovic.

NO LIMIT. WIE VIEL DOPING VERTRÄGT DIE GESELLSCHAFT?

Von Ines Geipel

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008

182 S., geb., € 17,90

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