Faszination des Schreckens

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Oben, auf der Mauer des Stadions, steht ein Mann mit Maschinengewehr. Unten, auf dem Sportplatz, spielen Frauen Basketball. Wie passt das zusammen? Sind die Spielerinnen vielleicht Gefangene und der Mann eine Aufsichtsperson? Nein, die Wandtafel gibt die Erklärung zu dem Bild. Es ist genau umgekehrt: Der Mann ist zu ihrem Schutz da. Denn was für uns ganz alltäglich ist, ist hier, in Somalia, für Frauen höchst gefährlich. Radikale islamistische Gruppen drohen mit dem Abhacken der rechten Hand und des linken Fußes. Nach ihrem religiösen Verständnis dürfen Frauen keinen Sport betreiben. Diese Frauen tun es trotzdem, heimlich und immer in Angst um ihr Leben. Den Wächter stellt der somalische Basketballbund.

Der Bürgerkrieg ist vorüber, und dennoch ist noch lange nicht Frieden in Somalia eingekehrt. Das zeigt der dänische Fotograf Jan Grarup mit diesem und anderen Bildern, die aktuell im Wiener Fotomuseum Westlicht zu sehen sind, im Rahmen der Ausstellung "World Press Photo 13“.

Das Elend dieser Welt

Was hat sich im vergangenen Jahr in der Welt ereignet? Alljährlich bittet eine Jury in Amsterdam Fotojournalisten um die Einsendung von Bildern, die darauf Antwort geben. Heuer kamen 103.000 Fotos von 5600 Fotografen aus 124 Ländern zusammen. Die Jury wählte aus, und die preisgekrönten Arbeiten touren nun in einer Wanderausstellung um die Welt.

Die Fotoserie von Grarup kommt schön verhalten daher. Es sind Schwarzweiß-Aufnahmen, und man merkt ihnen an, dass es dem Fotografen um die Sache geht. Hier agiert ein aufmerksamer Beobachter. Andere in der Ausstellung vertretene Fotografen rücken den Menschen geradewegs auf den Leib. Mitten hinein ins Geschehen, ganz nah dran, so lautet ihre Devise.

Wenn das Foto schlecht ist, warst du nicht nahe genug dran. Das hat der Magnum-Fotograf Robert Capa gesagt. Amateurfotografen können das bestätigen: Nehmen wir eine Person aus der Distanz auf, so bleibt auch der Betrachter seltsam auf Distanz. Wir müssen auf die Person zugehen, mit ihr in Kontakt treten, erst dann vermag die Aufnahme zu berühren.

Mit der Distanz ist es aber gerade in Konfliktsituationen so eine Sache. Erstens bedeutet sie Lebensgefahr für den Fotojournalisten - auch Capa war einmal zu nah dran, 1954, im Indochinakrieg, wo er von einer Kugel tödlich getroffen wurde. Zweitens stellt sich die moralische Frage: Darf ich aus nächster Nähe Eltern fotografieren, die gerade den Tod ihres Kindes betrauern? Ja, werden die einen sagen, es geht um das aufrüttelnde Dokument. Nein, die anderen, hier ist nicht ein Foto, sondern Rücksichtnahme und Hilfe angesagt.

In jedem Fall eine heikle Angelegenheit. Der Fotograf muss zwei Seelen in seiner Brust vereinen. Einerseits muss er sensibel für bewegende Momente sein, dann aber auch knallhart, wenn es um den perfekten Schuss geht.

Ein durch einen Säureanschlag entstelltes Gesicht in Großaufnahme: Wieso bewegen uns solche Bilder? Zum einen schockt uns die Brutalität. Wäre es das alleine, wäre die World-Press-Photo-Ausstellung aber nicht jedes Jahr ein zuverlässiger Publikumsrenner. Es muss noch etwas dazu kommen, und das ist sicherlich unsere Lust am Schauder. Früher delektierten sich die Leute im anatomischen Theater an Leichensektionen, heute an den Bildern.

Weniger wäre mehr

Die Qualität der Fotos kann es jedenfalls nicht sein, die die Massen anzieht. Viele Fotografen setzen einfach auf Effekt, auf knallige Farben etwa. Ihnen geht es offenbar weniger um die Dokumentation von Missständen als um die stolze Präsentation ihres Treffers. Ein Vorwurf, der auch dem Siegerfoto von Paul Jansen zu machen ist. Zu sehen ist ein Trauerzug, Kinder sind bei einem Bombenanschlag umgekommen. Als wäre dieser Moment noch nicht stark genug, verlieh Jansen der Aufnahme in seiner Nachbearbeitung einen besonderen Glanz, in der Anmutung eines Ölgemäldes. Weniger wäre mehr gewesen.

World Press Photo 13

Westlicht, Westbahnstraße 40, 1070 Wien

bis 13. Okt., tägl. 11 bis 19, Do bis 21 Uhr

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