Faszinierendes Resultat eines Kulturmixes

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Der spanische Regiemeister Carlos Saura über den Tango, die Vorteile des Fernsehens und seinen neuen Musikfilm "Argentina", in dem er der lateinamerikanischen Folklore ein unnachahmliches cineastisches Denkmal setzt.

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Der spanische Regiemeister Carlos Saura über den Tango, die Vorteile des Fernsehens und seinen neuen Musikfilm "Argentina", in dem er der lateinamerikanischen Folklore ein unnachahmliches cineastisches Denkmal setzt.

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Sein Leben gehört dem Tanz und der Musik, das hat der spanische Regisseur Carlos Saura, geboren 1932, in seiner reichen und sonst politikkritischen Filmografie mehrfach bewiesen, zum Beispiel mit der Trilogie "Flamenco"(1995),"Tango"(1998) und "Fados"(2007), die modernen Musikstilen nachspürte. Mit seinem neuen Film "Argentina" widmet sich Saura dem folkloristischen Gut des südamerikanischen Landes; sein Musikfilm zeigt ohne Kommentar die Ausformungen unterschiedlicher Tanz-und Gesangsstile aus den verschiedensten Regionen Argentiniens.

DIE FURCHE: Welche Idee steckt hinter Ihrem faszinierenden Musikfilm "Argentina"?

Carlos Saura: Die Idee von "Argentina" war, die Wurzeln und die Tradition lateinamerikanischer Tänze aus einer frischen Perspektive zu betrachten, weil solche Volkstänze meist mit Klischees behaftet sind. Doch sie sind auch Teil unserer Identität; deshalb wollte ich zeigen, dass der Flamenco ein ganz besonderer Tanz ist, wie der Tango auch. Deshalb konzentriere ich mich ganz auf den Tanz und die Musik.

DIE FURCHE: Dialoge oder Handlung sind da gar nicht nötig?

Saura: Ich habe schon einige Filme auf diese Weise gestaltet: Hier gibt es keinen wirklichen Plot und auch keine Dialoge. Ich nenne diese Machart das "pure Musical", wo man sich ausschließlich auf die Töne konzentrieren kann. Ich habe auch in Zukunft noch einige Projekte vor, die auf diese Weise funktionieren sollen. Wenn ich Glück habe, kann ich sie noch umsetzen.

DIE FURCHE: Wie erlebt man den Alltag von Folklore in Argentinien? Schätzt man das als Kulturgut?

Saura: In Argentinien gibt es heute wieder viele Verfechter der folkloristischen Musik, die die Tradition erhalten möchten. Es gab Zeiten, da war der Tango aus dem Alltag in Buenos Aires bereits verschwunden. Mein Film "Tango" brachte damals eine Renaissance des Tanzes, und dasselbe versuche ich nun mit "Argentina", indem diese Musikhier in einer renovierten Form zur Aufführung kommt und die Leute mit Begeisterung anstecken kann: Diese Musik ist ein faszinierendes Resultat eines Kulturmixes aus spanischen und italienischen Wurzeln und der Musik der Urbevölkerung Argentiniens, aber es gab auch jüdischen Einfluss der ukrainischen Einwanderer. All das ergibt einen einzigartigen Klang.

DIE FURCHE: Drückt Tango auch gesellschaftliche Befindlichkeit aus?

Saura: Die Tänze haben keinerlei politische Dimension, wenn Sie das meinen. Natürlich gab es in Argentinien eine brutale Diktatur, auch in der Musik wurde das verarbeitet, zum Beispiel in Gesangstexten. Aber in Wahrheit hat das Politische mit der Musik an sich nichts zu tun; der Tango zum Beispiel ist und war niemals politisch. Er wurde nur als Instrument politisch missbraucht: Als man in Argentinien die Menschen folterte, lief im Hintergrund meist sehr laut Tango, damit die Nachbarn nichts mitbekamen.

DIE FURCHE: Musik ist in Ihren Filmen oft auf der Bühne inszeniert.

Saura: Das gestalte ich sehr bewusst so, weil ich das Kino für eine Lüge halte. Realität gibt es nur in Live-Sendungen, und die gibt es nur im Fernsehen. Das Kino muss seine Stoffe immer erst erfinden. Es ist, verglichen mit dem Fernsehen, sehr träge. Man kann eine Geschichte über einen Flüchtling erzählen, aber so richtig emotional, wie das Fernsehen solche Schicksale darstellen kann, geht es im Kino nicht. Dasselbe gilt für Kriegsfilme. Ich glaube, "Saving Private Ryan" von Steven Spielberg ist der einzige Kriegsfilm, wo man sich als Zuschauer wirklich mittendrin im Krieg wähnte. Das Fernsehen kann aus meiner Sicht viel realistischer sein als jeder Kinofilm.

DIE FURCHE: Wann immer man Sie trifft, haben Sie eine Kamera dabei. Vermissen Sie die guten, alten analogen Fotos?

Saura: Ich fotografiere leidenschaftlich gerne. Die heutigen digitalen Kameras sind wunderbar, sie haben eine unglaubliche Qualität. Ich vermisse den analogen Film eigentlich nur wegen der schönen Stimmung, die in meinem Fotolabor herrschte. In diesem roten Licht sah jedes Foto unglaublich erotisch aus! Ich bin kein Nostalgiker, was alte Bilder und Aufnahmen angeht. Ich mache mir nichts aus der Vergangenheit und ich sehe sie auch nicht verklärt. Dafür bin ich viel zu sehr im Jetzt zu Hause und viel zu beschäftigt, als dass ich allzu lange über die Vergangenheit nachdenken könnte.

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