Fasziniert vom menschlichen Körper

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Die Wiener Albertina widmet dem italienischen Ausnahmekünstler Michelangelo eine umfangreiche Ausstellung. Gezeigt werden rund 100 Zeichnungen aus dem Haus sowie internationalen Sammlungen wie dem Louvre oder der Casa Buonarroti in Florenz.

Zeichnen ist der unmittelbarste künstlerische Ausdruck. Sobald ein Kind einen Stift in die Hand bekommt, setzt es Zeichen auf ein Blatt Papier. Zugleich ist der Gattung Zeichnung in ihrem unmittelbaren Notizcharakter eine intellektuelle Qualität eigen, wie sie anderen Medien in dieser Genauigkeit kaum zukommt. So war sie das erste Medium zur wissenschaftlichen Entdeckung der Welt, zur Fixierung neuer Erkenntnisse in der Architektur, der Anatomie oder der Perspektive. Gerade im digitalen Zeitalter fasziniert die Handzeichnung wieder besonders, hat man doch beim Betrachten eines locker skizzierten Blattes den Eindruck, einem Künstler direkt während der Arbeit zuschauen zu können.

Kaum zu glauben also, dass die Zeichnung lange nur als notwendige Vorstufe für Malerei, Bildhauerei und Architektur angesehen wurde. Mit dem 1475 in der Nähe von Arezzo geborenen Künstlerstar der Hochrenaissance Michelangelo Buonarroti änderte sich dies schlagartig. Erstmals erreichte die Zeichnung den Status eines autonomen # Malerei und Bildhauerei ebenbürtigen # Kunstwerks. Bereits zu Lebzeiten sammelten Zeitgenossen begeistert Michelangelos #Arbeitsunterlagen#. Für nachfolgende Künstlergenerationen galten sie als Maßstab schlechthin. Ein Glück, denn neben zeithistorisch bedingten Verlusten soll Michelangelo vor seinem Tod einige seiner Zeichnungen vernichtet haben, so dass #nur mehr# 600 Blätter weltweit erhalten sind.

Wie faszinierend die mit Tusche, Kreide oder Rötel gezeichneten Blätter des Allroundkünstlers sind, wird in einer großen Schau der Albertina deutlich. Die Ausstellung versammelt neben Arbeiten aus der Albertina selbst rund 100 der herausragendsten Zeichnungen aus 30 internationalen Sammlungen wie dem Pariser Louvre oder der Casa Buonarroti in Florenz. Dass im Zuge der Eröffnung von einem deutschen Kunsthistoriker Zweifel an der Echtheit so manchen Blattes geäußert wurden, kümmert Direktor Klaus Albrecht Schröder und Kurator Achim Gnann wenig. Man thematisiere die seit Jahren andauernde Zuschreibungsfrage ohnehin im Katalog und bei einem Symposium am 19. und 20. November.

Vielfältige Themenfelder

Ganz abgesehen von dem entbehrlichen massentauglichen Titel #Zeichnungen eines Genies# ist diese Ausstellung ein Muss im heurigen Kunstherbst. Denn die Schau macht nicht nur die zeichnerische Entwicklung dieses Ausnahmekünstlers nachvollziehbar. Anhand der vielfältigen Themenfelder wie #Die Sixtinische Kapelle#, #Das Grabmal von Papst Julius II.# oder #Späte Kreuzigungsdarstellungen# gibt sie auch Einblick in die verschiedenen Großprojekte Michelangelos. So unterschiedlich die Themen auch sind, eines zeichnet alle Zeichnungen Michelangelo aus: sein Fasziniert-Sein vom menschlichen, meist männlichen, Körper, den Michelangelo in jedem Detail studiert und in ungemeiner Plastizität auf dem Blatt nahezu dreidimensional herausarbeitet.

Beim Gang durch die didaktisch aufbereitete Schau entdeckt man zahlreiche Highlights # etwa die großformatige Kreide- und Rötelzeichnung #Madonna mit Kind# (um 1522#1525). Übrigens auch ein Blatt, um das es immer wieder Zuschreibungsdebatten gab. Die Zeichnung begeistert durch ihre Mischung aus Vollendung und Unvollendung. Sie lebt von der Spannung zwischen dem detaillierten, fein modellierten Körper des Christuskindes und der skizzenartig gezeichneten Madonna. Nicht zufällig erklärten Künstler der Moderne wie Auguste Rodin gerade Michelangelo aufgrund seiner oft bewusst fragmentarisch erscheinenden späteren Werke zu einem ihrer großen Urahnen.

Michelangelo. Zeichnungen eines Genies

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien

bis 9. 1. 2011, tägl. 10#19, Mi bis 21 Uhr

Katalog hrsg. von Achim Gnann, e 29,#

www.albertina.at

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