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David Sedaris schrieb die allerbösesten Weihnachtsgeschichten: "Holidays on Ice".

Der Weihnachtsmann ist eine Geisel des Kapitalismus und die Geiselhaft beginnt immer früher. Bislang haben wir uns nur geärgert, wenn hinter den Halloween-Kürbissen bereits die Girlanden hingen, nun öffnet uns David Sedaris ganz die Augen: Der Weihnachtsmann ist nicht mehr zu retten. Nach diesen fünf Geschichten ist es endgültig. Der Protagonist der ersten ist ein Zwerg, der in den Wochen vor Weihnachten als Männlein im grünen Kostüm arbeitet. Bereits die Auswahl der kleinen Zuträger richtiger Weihnachtsstimmung verdeutlicht, dass nichts dem Zufall überlassen wird. Nach dem Ausfüllen eines zehnseitiges Formulars, einem Multiple-Choice-Persönlichkeitstest, zwei Einstellungsgesprächen und einem Drogentest war es fix: Dank seinen 163 cm Körpergröße erhielt er den Job im Weihnachtsland. Dieses ist groß und die Wege zum Weihnachtsmann sind verschlungen. Da gibt es den Trinkwasserzwerg, den Notausgangszwerg, den Fotozwerg und den Ausgangszwerg, um nur einige zu nennen. Sie stehen entweder bei der O-mein-Gott-Ecke, wenn die ins Haus Kommenden sehen, wie lang die Schlange der Wartenden ist, oder bei jener verspiegelten Wand beim Zauberbaum, wo Kinder, die sich überfressen haben, ihren Mageninhalt von sich geben können und der diensthabende Zwerg "Vamoose!" brüllt, womit ein Putzmittel gemeint ist.

In das Kaufhaus kommen die Leute, um sich mit dem Weihnachtsmann fotografieren zu lassen, und je näher das Fest rückt, um so später kommen die Fotos dann an. Kein Einfall so blöd, dass es keine reale Entsprechung gäbe. Die Seife der Seifenopern verschmiert das ganze Leben, wenn der Fernseher nicht läuft, benehmen sich alle, als wären sie Akteure. Das Video und das gestellte Foto sind wichtiger als das Ereignis selbst. Sedaris beherrscht das schmierig Terrain perfekt. Gäbe es nur ein verkitschtes Kaufhaus, wäre es leicht zu meiden. Außerdem gibt es Familien, die in Weihnachtsbriefen Bekannte und Verwandte über das letzte Jahr auf dem Laufenden halten. Zum Beispiel die Dunbars, von denen niemand geglaubt hätte, dass sie sich diesmal melden. Sie tun es aber doch: "So stark ist keine Familie denkt Ihr bei Euch. Dann denkt lieber nochmal nach!!! Zwar hat das vergangene Jahr beim ,Geben' unserer Familie ein schlechtes ,Blatt' voll Weh und Ach zugeteilt, aber wir haben (bisher!) das Unwetter überlebt und werden das weiterhin so halten!" Solch flapsiger Tonfall ermöglicht es auch, den Mord an einem Kleinkind zu kaschieren. Aber vielleicht ist Frau Dunbar unschuldig und Schuld hat nur das uneheliche Kind, das 22-jährig aus Vietnam vor der Haustür stand und die Familie an den Militärdienst des Vaters erinnerte.

Bei der Erpressung mit der Geisel Weihnachtsmann schneiden aber auch die Medien mit. Jim schreckt nicht davor zurück, die Kirchenkanzel zu erklimmen, um als Sendungsverantwortlicher einer Reality-Story der Gemeinde Geschenke zu versprechen, eine neue Kirche, Autos, Kühlschränke. Sie müssen bloß eine Mitbürgerin, die ihre tragische Geschichte nicht verkaufen will, so weit bekommen, dass sie sie doch erzählt. Und diese Geschichte hat es auch wirklich in sich, grauslicher geht es schon nimmer. Alles worum ich euch bitte, sind ein paar Einzelheiten, spricht Tim und ist sich seines Sieges gewiss.

Doch die Sache mit den beiden Familien, die sich am Ende des Buches ein amerikanisches Duell liefern, ausgetragen mit den Waffen der Eitelkeit und der Borniertheit, wer großzügiger sei, ist nicht zu übertreffen. Die Geschichte endet in den Pappkartons der amerikanischen Obdachlosen. Sieger bis in den Tod.

Man lese das dünne Bändchen von Mark Sedaris, bevor die Glühbirnen der Adventgirlanden aufleuchten, wohltuender Rumdunst die Straßen durchzieht und "Stille Nacht" aus den Lautsprechern dröhnt, so dass man es am Weihnachtsabend nicht mehr hören kann. Es hilft, den geballten Ladungen Weihnachtsstimmung auszuweichen, damit man auch am 24. Dezember noch ein Weihnachtslied hören kann.

Holidays on Ice

Geschichten von David Sedaris

Diana Verlag Zürich 2001

126 Seiten, brosch., öS 114 .-/e 8,30

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