Festwochen unter strenger Beobachtung

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Wael Shawkys arabische Version des Rolandsliedes besteht nicht in einer Umdeutung der Geschehnisse, sondern in einem Perspektivenwechsel.

Im Vorjahr hatte Tomas Zierhofer-Kin ohne Not und ersichtlichen Grund geglaubt, die Wiener Festwochen neu erfinden zu müssen. Beinahe hätte er durch seine bemüht wirkende Beflissenheit, mit neuen Formaten und anderen, als "niederschwellig" erachteten Spielorten neue Besucherschichten anzulocken, sein ganz persönliches Grounding erfahren. Kein Wunder nun, dass der künstlerische Leiter der Wiener Festwochen bei seiner zweiten Ausgabe heuer unter verstärkter Beobachtung steht.

Der Blick auf das Festival-Programm offenbart immerhin, dass Zierhofer-Kin einige Lehren aus der beispiellosen Ablehnung seines letztjährigen Programms gezogen zu haben scheint. Zwar gibt er den Festwochen mit "Das Theater der Angst und das fragile Gebilde der Demokratie" wieder mutig ein übergeordnetes Thema. Er wolle, so der Intendant im Programmbuch, den Zuschauern durch den Spiegel der Kunst dazu anregen, "mit einem anderen Blick die Welt in ihrer Komplexität zu erfassen [ ] und auch dazu inspirieren, von einer neuen, anderen Welt nicht nur zu träumen." Trotz dieser sympathischen Emphase ist das Programm diesmal aber frei von jedem modisch aufgeblähten, pseudotheoretischen und, nebenbei gesagt, auch so gar nicht niederschwelligen Sprechen vom "Queeren als politischem Widerstand", der "Heterotopie postidentitärer Wirklichkeiten" usw. Das "hermetische Kuratoren-Rotwelsch", mit der die Festwochen letztes Jahr dem Publikum ein Abenteuer versprachen, aber letztlich nur "die Avantgarde von vorgestern andiente", wie Die Zeit zu Recht lästerte, ist heuer einer entschiedenen Sachlichkeit gewichen.

Unübersehbar sind die Anpassungen an die 'Tradition' der Wiener Festwochen auch in der Auswahl des rund 30 Produktionen umfassenden Programms -ein Mix aus Theater, Performance, Installation, Musik, Film und Medienkunst. Ob allerdings mit Einkäufen wie beispielsweise Christoph Marthalers "Tiefer Schweb", Susanne Kennedys "Selbstmordschwestern" von den Münchner Kammerspielen oder Ersan Mondtags Inszenierung der "Orestie" vom Thalia Theater Hamburg die in Scharen weggelaufenen Festwochenbesucher so einfach zurückzugewinnen sind, bleibt abzuwarten.

Die erste programmatische Produktion war "Phobiarama" des Theatermachers und bildenden Künstlers Dries Verhoeven. Der Niederländer gilt als Spezialist für Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Theater und Installation. Auf dem Vorplatz des Museums-Quartiers hat er einen etwa 250 qm großen schwarzen Kasten gebaut, auf dem mit blinkenden Glühbirnen der Schriftzug "Phobiarama" die Passanten zum Besuch einlädt.

Drinnen findet man eine Art Geisterbahn vor. Im Finsteren hat man sich jeweils zu zweien in ein bereitstehendes Wägelchen zu setzen und los geht die Slalomfahrt durch das von kleinen, bilderlosen Mattscheiben erleuchtete Dunkel. Wenig überraschend tauchen aus den Ecken bald mächtige Gestalten auf, die sich allzuschnell als harmlose Bären zu erkennen geben. Dazu lärmen aus Lautsprechern schrille O-Töne aus dem letzten heimischen Wahlkampf, mit Warnungen vor dem ungebremsten Zuzug von Flüchtlingen und damit Terroristen, wie populistische Politiker nicht müde werden, uns glauben zu machen. In die Kakophonie mischen sich arabische Rufe und immer wieder hört man "You' re in a land of war". Stutzig machen die Bären schon, Angst und Schrecken, wie der Titel verspricht, aber nicht. Das ändert sich auch kaum, als der Kern des Bären sich als Clown entpuppt. Selbst als die Horrorclowns sich ihrer Masken und Kostüme entledigen und auf einmal dunkelhäutige, muskulöse und teilweise tätowierte Männer unseren Slalomkurs kreuzen, will sich der Schrecken nicht einstellen. Und als nach 40 Minuten die Geisterfahrt endet, bleibt die dünne wie niederschmetternde Erkenntnis, dass der Künstler von den Mechanismen des Angst(machens) sehr viel weniger versteht als so mancher Politiker.

Über Barrieren hinweg

Eine ganz andere Art des Eintauchens ermöglicht "The Song of Roland: The Arabic Version" des ägyptischen Künstlers Wael Shawky. Mit 18 Sängern und Musikern aus Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigte er im Theater an der Wien seine denkwürdige Version des Rolandsliedes, einem altfranzösischen Versepos, das um 1100 entstand und das die Heldentaten Karls des Großen und seines Neffen Roland im Krieg gegen die Araber im Spanien des 8. Jahrhunderts schildert. Die 18 Fidjerj-Musiker nehmen die ganze Bühne ein. Hinter ihnen steigt steil ein Modell an, das auf Miniaturzeichnungen eines Universalgelehrten aus dem 16. Jahrhundert zurückgeht und Karten von Aleppo oder Bagdad zeigt. Begleitet von Trommeln und rhythmischen Klatschfolgen singen die vier Solosänger abwechselnd und manchmal im Chor von den Taten christlicher Helden.

Die versprochene arabische Version besteht nun nicht in einer Umdeutung der Geschehnisse, sondern indem der Vortrag in arabischer Sprache gehalten und mit der arabischen Tradition verbunden wird, sowie darin, dass dem Schlachten und Sterben auf dem Schlachtfeld im beeindruckenden Singsang sehr viel Raum gegeben wird. Das bedeutet nicht weniger als einen Perspektivenwechsel, indem Geschichte jenseits beinahe hagiografischer Schilderung der Helden mehr auf lebensweltliche Erfassung 'von unten' setzt. Der begeisterte Applaus des Premierenpublikums lässt sich nur so deuten, dass hier Verständigung über alle kulturellen Barrieren nicht nur geglückt, sondern unbedingt gewünscht wird.

Phobiarama Vorplatz MuseumsQuartier 17. , 18., 19., 20., 21., 22. Mai

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