Feuerwerk nach Zitterpartie

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Als am vergangenen Sonntag eine Stunde vor Mitternacht ein Feuerwerk den Himmel über Belgrad beleuchtete, atmete mindestens die Hälfte der Bewohner auf. Eine Zitterpartie war zu Ende gegangen, der demokratische Kandidat und bisherige Amtsinhaber, Boris Tadi´c, und mit ihm die europäische Idee hatten mit einem knappen Vorsprung von zweieinhalb Prozent vor dem Nationalisten, Tomislav Nikoli´c, einen Wahlsieg errungen. Nikoli´c ist Stellvertreter des Präsidenten der Serbischen Radikalen Partei, dessen Präsident, Vojislav Šešelj, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, in Haag einsitzt. Er und seine Abgeordneten im Parlament tragen ein Abzeichen mit dem Bild dieses Šešelj im Knopfloch.

Apropos: Ist Belgrad schön?

Gelegen an den Ufern zweier gewaltiger Ströme könnte es eine wunderbare Metropole sein, aber der gnadenlose Lauf der Geschichte hat es nicht zugelassen. Archäologische Funde weisen zwar in das fünfte Jahrtausend vor Christus zurück, schon die antike Stadt Singidunum stand an der selben Stelle, doch Bauten aus dem 19. Jahrhundert oder früher gibt es kein Dutzend. Kriege und Eroberungen haben immer wieder alles vernichtet. Sogar die NATO hat Bomben und Raketen 1999 auf Belgrad als bisher einzigem europäischen Ziel geworfen, so dass die ehemaligen Ministerien als Ruinen noch immer mitten im Zentrum stehen und Sehenswürdigkeiten für Touristen darstellen.

In Belgrad ist vieles möglich, was anderswo kaum denkbar wäre, zum Beispiel in einem Hotel unter einem Riesenporträt von Adolf Hitler zu schlafen. Die Nobelherberge "Mr. President" nahe dem Hauptbahnhof hat in den Suiten Bilder lebender oder toter Staatschefs an die Wand gehängt, George Washington, Castro, Stalin, Gandhi, Putin … Laut Hotelmanager Dušan Zabunovi´c ist das Zimmer 501 mit Hitler nach jenem mit Tito bei Gästen das zweitbeliebteste. Angeblich hat der Besitzer inzwischen Hitler abgehängt, versteht aber nicht wieso. Hitlers "Mein Kampf" ist übrigens in vielen Buchhandlungen auf Serbisch käuflich zu erstehen.

Neue Hotels werden gebaut, andere renoviert, für die Veranstaltung Eurosong im Mai sind längst alle Betten gebucht. Bei jungen, trinkfesten und erlebnishungrigen Menschen aus aller Welt ist die Hauptstadt Serbiens beliebt. Cafés, Bars, Bistros und Restaurants in der Altstadt oder auf Flößen am Ufer der Save haben bis in die frühen Morgenstunden offen, Sperrstunden sind graue Theorie, Gesang, Gelächter, Lärm und Spaß hören nie auf. Anrainer, die gerne schlafen wollen, beschweren sich vergebens.

Es fällt auf, wie viele Gasthäuser, Wechselstuben, Bankfilialen und, besonders seltsam, Apotheken, nebeneinander stehen. Überfälle auf Geldinstitute und Geldtransporte finden allwöchentlich statt wie in Gangsterfilmen. Ansonsten ist Belgrad eine sichere Stadt, man darf nur nicht zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Ein junger Besucher aus Zagreb wurde im vergangenen Sommer in einem Schanigarten versehentlich erschossen. Der unerfahrene Berufskiller hatte ihn mit dem Mann verwechselt, den er eigentlich umbringen sollte.

Der Blick von der ehemaligen Festung Kalemegdan auf die Mündung der Save in die Donau und den modernen Stadtteil auf dem anderen Ufer ist einzigartig. Der Stau auf den Straßen erinnert an die schlimmsten Probleme europäischer Metropolen. Billboards nehmen einen jeden freien Platz für Werbung ein, und in den letzten Wochen blickten grimmige Porträts der Präsidentenkandidaten zwischen Reklamen für Banken, Waschmittel, Automarken, Coca-Cola und Verhütungsmittel von allen Seiten auf die Passanten.

Der Hauptplatz von Belgrad heißt Terazije, das ist das türkische Wort für Waage. Hier schrie sich Sonntag Nacht von einem improvisierten Balkon Wahlsieger Tadi´c vor seinen Fans heiser, ein hübscher, modern und jugendlich aussehender Psychologieprofessor, der vor einigen Tagen seinen 50. Geburtstag gefeiert hat. Als er nicht mehr weiter konnte, rief er: "Tschüss, Leute! Ich muss arbeiten gehen!"

Das ist noch einmal gut ausgegangen, dachte ich, aber knapp. Belgrad ist eine Stadt, die sehr schön sein könnte.

Zur Person

Ivan Ivanji, geboren 1929 in Zrenjanin (Großbetschkerek) im Banat, war in den KZs Auschwitz und Buchenwald, studierte in Belgrad Germanistik, war Journalist, Theaterdirektor und Diplomat; seit 1992 lebt der Schriftsteller ("Der Aschenmensch von Buchenwald") in Belgrad und Wien. Am Donnerstag 7. 2. liest er um 19 Uhr in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur (Herrengasse 5, 1010 Wien) aus seinem jüngsten Buch "Titos Dolmetscher. Als Literat am Pulsschlag der Politik" (Promedia Verlag).

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