Werbung
Werbung
Werbung

Bettauers "Stadt ohne Juden" im geschichtsfreien Raum.

Nachher ist vorher. Nur dass uns die Geschichte eines anderen belehrt. Als der jüdische Kulturpublizist Hugo Bettauer 1922 seinen Roman "Die Stadt ohne Juden" fertig stellte, konnte er nicht wissen, dass ihn die Geschichte einholen würde - wenn auch mit anderem Ausgang. Von der Judenverfolgung und-vertreibung, dem Aufblühen der Deutschnationalen im konservativ-reaktionären Wien geht seine Realsatire aus, die mit der Rückholung der Vertriebenen endet. Weil Wien nämlich ohne Juden nichts anderes als langweilige Provinz in Lodentracht ist. Der Roman erwies sich als Bestseller, Hans Karl Breslauer verfilmte ihn 1924 mit Hans Moser. Hugo Bettauer wurde 1925 von dem Antisemiten Otto Rothstock ermordet - der Prozess gegen diesen endete mit einem Freispruch wegen "Unzurechnungsfähigkeit".

Für das Volkstheater hat Helmut Peschina eine Bühnenfassung erarbeitet, die in den Dialogen die satirische Verve und im Nebentext die Atmosphäre der Zeit stilsicher einfängt. Gespielt wird im legendären Bellaria-Kino, wo Nostalgie Programm ist und Martin Oelbermanns Inszenierung so einfärbt, als hätte es die letzten 80 Jahre nicht gegeben. Zaghaft setzt Oelbermann das Kino ein, allerdings nicht um wirkliche Bilder hereinzuholen, sondern um mittels Film-Ausschnitten die Fiktion zu doppeln. Damit siedelt Oelbermann seine Inszenierung im geschichtsfreien Raum an und lässt die Zeit stillstehen. Er konzentriert sich auf den Kolportage-Charakter von Peschinas dynamischer, präziser Bearbeitung, der er mit Gefühl für Rhythmus und Witz begegnet.

Sechs Schauspieler/innen (Beatrice Frey, Annette Isabella Holzmann, Thomas Bauer, Andy Hallwaxx, Christoph F. Krutzler, Jakob Seeböck) schlüpfen in sämtliche Rollen. Im braunen Unisex-Anzug und mit ganz wenigen äußerlichen Mitteln zeichnen sie die Charaktere: eine überdimensionale Brille, ein aufklebbarer Bart, ein französischer Akzent oder steirische Dialektfärbung setzen die Figuren fest. Dem Risiko der Betroffenheit setzt Oelbermann viel Outrage und Kabarettistisches entgegen, doch wissen wir heute, dass Bettauers Fiktion noch viel grausamere Wirklichkeit geworden ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung