Film in der Komfortzone

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"12 Years a Slave“: Steve McQueens Sklavendrama gewann den Golden Globe und gilt als Oscar-Favorit. An die Wurzeln eines kranken Systems geht der Film aber keineswegs.

Bereits bevor Steve McQueens "12 Years A Slave“ erstmals vorgeführt wurde, gab es Warnsignale. Als sich auf Twitter ein Kritiker vorab skeptisch äußerte, hagelte es Beschimpfungen, vor allem von US-Nutzern: "Wenn Sie diesen Film kritisieren, sind Sie Rassist!“, so der eindeutige und einfältige Tenor der Reaktionen.

"12 Years A Slave“ ist Steve McQueens dritter Film in seiner zweiten Karriere als Regisseur. Und der effektheischende Video-Künstler in ihm zeigt sich auch hier deutlich. Obwohl oft als "schwierig anzusehen“ beschrieben, ist die durchwegs enthusiastische Rezeption, die der Film seither erlebte (eben gewann er den Golden Globe als Bester Film), ein Beweis für seinen kalkuliert wohlwollenden Charakter.

Kalkuliert wohlwollend

"Wohlwollend“ klingt absurd für einen Film, der vor Szenen wie zum Beispiel jener nicht zurückschreckt, in der der Protagonist, der schwarze Sklave Salomon Northup (Chiwetel Ejiofor), mit einer Schlinge um den Hals von einem Ast baumelt, während seine Zehenspitzen als lebensverlängernde Stütze im rutschigen Matsch Halt suchen und sichtbar hinter ihm das Alltagsleben auf der Plantage seinen gewohnten Gang geht.

Was diese Szene aber vom analytischen Standpunkt schrecklich macht, ist die Tatsache, dass hier die Not der Figur von einem nach Bestätigung heischenden Regisseur untergraben wird: Dieses Bild ist eines von vielen so genannten Show-Stoppern, die alle Filme von Steve McQueen prägen, und die auch in "Shame“ und "Hunger“ problematisch waren: Wäre es eine TV-Show, würde das Publikum nun mit offenen Mündern innehalten und dann zuerst zögerlich, aber allmählich überzeugt lautstark applaudieren: "Danke für diesen sensationellen Schauwert!“

Die Tatsache, dass Steve McQueen Afro-Brite ist, gibt nicht nur seiner Behandlung des Themas, sondern auch dem Film an sich a priori Immunität - die aber in Frage gestellt werden muss, und zwar speziell dann, wenn man die Wichtigkeit der (Aufarbeitung der) Thematik nicht verkennen will.

Gerade so wie der echte Solomon Northup, ein gebildeter Musiker, der gekidnappt und 12 Jahre lang in Sklaven-Gefangenschaft verkauft wurde und auf dessen Erinnerungen dieser Film basiert, seine Memoiren 1853 in einer Weise schrieb, um die Sympathien einer Yankee-Leserschaft zu gewinnen, können weder Steve McQueen noch sein Produzent und Drehbuchautor John Ridley leugnen, diesen Film auf ein zeitgenössisches Publikum zugeschnitten zu haben. Nur in diesem Fall aus Motiven, die über einen künstlerischen Exhibitionismus kaum hinausgehen.

McQueen selbst räumte in Interviews ein, dass der Film "zu einem günstigen Zeitpunkt“ kommen mag. Das 150-Jahr-Jubiläum der Emanzipations-Proklamation in den USA, das 50. Jubiläum des Marsches auf Washington und: die Präsidentschaft Barack Obamas. McQueen sieht das US-Publikum "bereit, sich der schrecklichen Vergangenheit des Landes zu stellen.“

Doch er verabsäumt es in seinem Film komplett, Northups "Zeugenbericht“ dafür zu nutzen, an die Wurzeln eines kranken Systems zu gehen, das die Welt und gerade den US-Alltag immer noch bestimmt. Indem er die historischen Verbrechen in diesem Film als erbauliches Entertainment neu verpackt, bietet er moralische Absolution an, wo auch heute keine sein kann.

Alle Südstaatler sind Teufel …

So visuell tadellos und schauspielerisch herausragend McQueens und Ridleys Erzählung von Northups Geschichte auch geraten ist, will dieser Film nie jene Komfortzone verlassen, welche die historische und ideologische Distanz zwischen jenen Ereignissen und dem heutigen Publikum bestimmt, im Gegenteil, er reproduziert Brutalität, um den Zusehern die Möglichkeit zu geben, sich moralisch überlegen zu fühlen. Jede einzelne Figur hier, vom sadistischen Plantagenbesitzer Edwin Epps (Michael Fassbender), dem schlicht psychopathischen Sklaventreiber Tibeats (Paul Dano) oder dem skrupellosen Menschenhändler Freeman (Paul Giamatti), bieten sich in ihrer drastischen (nicht unrealistischen) Zeichnung für McQueen und Ridley als exzellente Verstärker an, generell alle "Südstaatler“ zu verteufeln und den Norden gar ein paar Mal als befremdliches "Post-Sklaverei“-Idyll zu zeigen. Befremdlich, weil diese banale Kategorisierung jeder essentiell wichtigen historischen Analyse von Dynamiken zuwiderläuft und zum einen Sklaverei auf rein "persönliche Fehden“ reduziert und zum anderen so tut, als könnte man das Kapitel jetzt, dank McQueen, endlich abschließen.

Solange man aber nicht schmerzvoll versteht, dass die amerikanische Sklaverei ein System war, das von Menschen exekutiert wurde, die - kulturphilosophisch gesprochen - in ihrer Schwäche und (wirtschaftlichen) Bestechlichkeit uns allen, also auch McQueen und Ridley, ähnlich waren, werden solche Filme Preise gewinnen, wie demnächst zumindest einen Oscar.

12 Years a Slave

USA/GB 2013. Regie: Steve McQueen. Mit Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Paul Dano. Tobis. 123 Min.

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