Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller - Georg St.
Troller
Am 10. Dezember wird der
Schoa-Überlebende, Journalist,
Interviewer,
(Dreh-)Buchautor
und Filmemacher
100 Jahre alt - © rr-film

„Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller“: Zeuge und Zeugnis

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Mit „Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller“ ist der Dokumentarfilmerin Ruth Rieser ein Zeitzeugnis über den 100-jährigen Autor, Interviewer und Filmemacher gelungen.

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Mit „Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller“ ist der Dokumentarfilmerin Ruth Rieser ein Zeitzeugnis über den 100-jährigen Autor, Interviewer und Filmemacher gelungen.

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Wieder einmal gebührt Axel Corti das Verdienst, mittels Film die in ihr Vergessenstrauma eingelullte österreichische Seele wachgerüttelt zu haben: Cortis Filmtrilogie „Wohin und zurück“ aus 1981 bis 1986 waren ein Vorgeschmack auf das, was in den Waldheim-Jahren folgen sollte. Die Filmerzählung über das Schicksal eines jüdischen Österreichers, der 1938 das Land verlassen musste, sich den Unwirtlichkeiten des Exils auszusetzen hatte und nach1945 als US-amerikanischer GI zurückkehrte, war vom Drehbuchautor stark autobiografisch geprägt. Und dieser Exilant, Georg Stefan Troller, wird am 10. Dezember 100 Jahre alt.

Trollers ab 1962 als ‚Pariser Journal‘ geführte Gespräche mit Größen und Celebritys wurden zu einer eigenen Kunstform.

Die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Rieser widmet diesem Jahrhundertleben den zweistündigen Dokumentarfilm „Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller“. Denn Trollers Biografie bietet weit mehr als das Überleben der Schoa – auch wenn dies zeitlebens ein existenzieller Ausgangspunkt des Protagonisten blieb.

Troller kam als US-Soldat ins befreite Europa und etablierte sich als Journalist, Drehbuchschreiber, aber vor allem als legendärer „Interviewer“. Seine ab 1962 als „Pariser Journal“ geführten Gespräche mit Größen und Celebritys wurden zu einer eigenen Kunstform – Edith Piaf, William Somerset Maugham, Peter Handke, Leonard Cohen Romy Schneider – sind nur einige der Namen, die Troller da mit seiner Frage- und Filmtechnik im Fernsehen „erstehen“ ließ. Alles in allem sind es 170 Filme und 20 Bücher geworden, für die Georg Stefan Troller (mit)verantwortlich zeichnet.

Der große Interviewer

Ruth Rieser nähert sich ihrem, in Paris heimisch gewordenen, Protagonisten zunächst über einen „professionellen“ Zugang: Sie befragt Troller über seine Interviews und Filme, dem Titel ihres Opus gemäß sucht sie, der Art und Weise der Auslegung der Wirklichkeit, die Troller versucht hat, näherzukommen. „Die Hunderten Leute, die ich interviewt habe, haben mir den Weg gewiesen“, wird Troller Ruth Rieser einmal in die Kamera sagen: „Du musst diese Leute lieben können.“ Es ist richtig dass die Dokumentarfilmerin ihrem Beobachtungssubjekt nicht mit der Frage zu Leibe rückt, wie er denn die Schoa auch emotional und geistig überleben konnte.

Denn die Antwort darauf ergibt sich aus seiner Arbeitsweise, die mindestens so viel über den Menschen Troller erzählt wie eine lange autobiografische Betrachtung. Ruth Riesers Zugang, über die Arbeit den Menschen hervorkommen zu lassen, geht auf – und sie hat sich Troller, den Interviewer, selber als Beispiel genommen, um ihm als Person nahezukommen. Wie weit man dabei gehen könne, fragt sie Troller einmal, und der antwortet: „So weit, bis die Selbsteinschätzung des Menschen in Frage gestellt wird.“ Und Troller setzt dann hinzu, „idiotische Redakteure“ würden heute verlangen, dass man bei einem Dokumentarfilm vorher ein Drehbuch abliefern müsse: „Da machst du dir dann praktisch den Film kaputt.“

Bücher von der Bar Mizwa

Erst im zweiten Teil ihres Films geht es um das Überleben, Rieser begleitet Troller bei einem Besuch ins ehemaligen Konzentrationslager Dachau und dann auch nach Wien, wo der 99-Jährige Freunde sowie Orte seiner Kindheit aufsucht. Am eindrücklichsten gestaltet sich der Besuch Trollers in der Wohnung seiner Eltern, der Vater war Pelzhändler in Wien-Döbling. Troller entdeckt dort den Bücherschrank seiner Familie und auch die Bücher, die er zu seiner Bar Mizwa bekommen hatte.

Die heutige Bewohnerin, Nachfahrin jener, die die Wohnung 1938 übernommen hatten, behauptet, ihre Eltern hätten Schrank und Bücher auf einem Altwarenmarkt erstanden … Auf diese Weise schließt sich der Kreis zu der immer noch nicht bewältigten Vergangenheit, zu der die Gräueltaten im Wien 1938 gehörten, und die heute noch immer nicht akzeptierte Wahrheit sind. Das sei ihm aber egal, meint Troller im Film: „Ich habe mein eigenes Leben gehabt.“ Zur Premiere des Films am 5. November in Wien hat sich Georg Stefan Troller angesagt: Einer der letzten Zeitzeugen – und in dieser „Auslegung der Wirklichkeit“ ist Rieser ein wichtiges Zeitzeugnis gelungen.

Die Frage, was von der Erinnerung an die Schoa bleiben wird, treibt ja nicht nur die Überlebenden seit vielen Jahren um, sondern auch die Nachgeborenen, denen es darum geht, das Vergessen – um der Zukunft willen! – hintanzuhalten. Dieser Film ist ein Steinchen des Mosaiks, das dafür nötig ist. Ruth Rieser sei Dank!

Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller - © rr-film
© rr-film
Film

Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller

Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller

A 2021.

Regie: Ruth Rieser.

rr-film. 120 Min.

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