Lovemobil - © Filmstill: Christoph Rohrscheidt

"Wahrheit" im Film: Blick in die Mogelpackung

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Dürfen Dokumentarfilme inszeniert sein? Ja, das müssen sie sogar! Was nicht geht: Etikettenschwindel unter dem Deckmantel der Objektivität. Anmerkungen zu einer Debatte über „Wahrheit“ im Film, die zurzeit im deutschen Feuilleton tobt.

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Dürfen Dokumentarfilme inszeniert sein? Ja, das müssen sie sogar! Was nicht geht: Etikettenschwindel unter dem Deckmantel der Objektivität. Anmerkungen zu einer Debatte über „Wahrheit“ im Film, die zurzeit im deutschen Feuilleton tobt.

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Die Absichten waren vornehm, die Umsetzung jedoch brachte jede Menge Ärger: Die deutsche Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss hatte für ihren Dokumentarfilm „Lovemobil“ über lange Zeiträume mit Prostituierten gesprochen, die ihre Dienstleistungen in Wohnmobilen am Rande von Bundesstraßen in Niedersachsen anboten. Der Film lief Anfang 2020 in den deutschen Kinos und auch auf Festivals, wurde sogar mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet und lief beim WDR im Fernsehen.

Dann aber kamen Zweifel am Film auf: Waren einige der Szenen darin gar nicht dokumentarisch gefilmt worden, sondern nachgestellt? Ist „Lovemobil“ also eine
Fake-Doku, wie es etliche der Kritiker schnell formuliert hatten? Die Wogen gingen jedenfalls hoch, denn eigentlich sind Dokumentarfilme per definitionem vor allem dadurch von Spielfilmen unterscheidbar, weil in ihnen eben nichts inszeniert ist.

So einfach ist die Sache jedoch nicht: Während die deutschen Feuilletons inzwischen die Frage diskutieren, wie weit ein Dokumentarfilm gehen darf oder muss, um seinem Titel gerecht zu werden, wird international die Unterscheidung zwischen Dokumentation und Fiktion zusehends aufgeweicht.

Das liegt einerseits an dem Umstand, dass immer mehr Filmfestivals, darunter auch die Viennale, inzwischen davon abgerückt sind, ihre Wettbewerbsbeiträge in Dokumentar- und Spielfilme zu unterteilen, sondern lieber alle Filme in einem Topf präsentieren (auch um die Dokumentarfilme aus der Nische zu holen und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen).

Andererseits experimentieren die derzeit boomenden Streaminganbieter wie Netflix oder Amazon Prime mit immer neuen Mischformaten: Es gibt Doku-Serien, Doku-Fiction, Mockumentaries, Filme und Serien, die halbdokumentarisch arbeiten und Inhalte mit Spielszenen ergänzen. Die Vielgestalt der Genres ist stark gewachsen, und dem Publikum scheint’s egal zu sein. Wichtig ist, dass es unterhält.

Der Fall von „Lovemobil“

Im Fall von „Lovemobil“ geht es hin gegen offenbar mehr um Etiketten schwindel denn um Unterhaltung. Die Grimme-Nominierungskommission hat dem Dokumentarfilm jedenfalls postwendend die Nominierung entzogen. Nach Kenntnisnahme der massiven Vorwürfe rund um den Film sei entschieden worden, „der Produktion aufgrund schwerwiegender Verstöße die Nominierung zu entziehen“, so Grimme-Direktorin Frauke Gerlach. Regisseurin Lehrenkrauss hat sich inzwischen für ihr Vorgehen entschuldigt. Man habe vereinzelt die mit wirklichen Prostituierten recherchierten Begebenheiten bloß mit Darstellerinnen nacherzählt, einerseits um die Frauen zu schützen, die die Geschichten erzählt haben, andererseits weil sie nicht mehr im Business tätig waren und aus der Vergangenheit berichteten. „Im Film ist nichts ausgedacht, was es so nicht gibt. Wir haben es nur mit Darstellerinnen nacherzählt“, so Lehrenkrauss. Nachsatz: „Was natürlich ein Fehler war, war diesen Film nicht zu kennzeichnen.“

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