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DIE TRAGÖDIE DES KURZFILMS

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Als 1952 die erste Filmwoche in Mannheim stattfand, war sie noch ausschließlich dem Kurzfilm gewidmet und wurde im Titel auch als solche deklariert; mit dem polypen- haften Ausbreiten des großen Bruders Fernsehen setzte der Tod des Kurzfilms ein. Die Produzenten von derartigen Werken, aus dem „Kulturfilm” hervorgegangen, ließen sich nur allzu willig, von der drohenden Kindkrise erschreckt, in die Arme des kapitalkräftigen Molochs TV sinken, der ihnen aber seine eigenen Gesetze vorschrieb: kein Kurzfilm unter 20 Minuten — und je länger, je lieber —, weg vom sorgfältig gearbeiteten und exakt geplanten „Themenfilm” und hin zur Reportage, zum aktuellen, dokumentarischen Bericht (hier in der ausnahmsweise richtigen Erkenntnis der Aufgabe des Fernsehens!). So hörte der Kurzfilm im Westen fast gänzlich auf zu existieren (der Osten ist nicht so weit kommerzialisiert), und das Ergebnis war, daß aus der Mannheimer Kurzfilmwoche nur eine „Filmwoche” wurde, werden mußte, denn einen wirklichen „kurzen” Film gab es nicht mehr…

Die Wettbewerbsbedingungen mußten geändert, erweitert wenden — die allzu ermüdenden und klischeehaft gleichen „Dokumentarreportagen” (in immer langweiliger werdendem Stil eines mißverstandenen „Cinėma vėritė) sind zwar im Fernsehen akzeptabel, wo man immerhin den Apparat ausschalten oder nicht beachten und sich der Lektüre eines Buches zuwenden kann, doch was tut der Besucher im dunklen Kinosaal? —, und neben bis zu 50 Minuten langen „Kurz”-Filmen wurden auch Spielfilme, Erstlingswerke früherer Kurzfilmschöpfer, in den Wettbewerb aufgenommen. So hielten sich in den letzten Jahren die Kurzfilmfestivals über Wasser — unter ihnen Mannheim noch am besten und wendigsten, da es überaus geschickt konzipiert wurde.

Nun setzte mit Beginn des Jahres 1968 eine Wende ein: von den Filmen Godards inspiriert, vom „cinema nuovo” fortgeführt, vom „jungen deutschen Film” heftigst vertreten und einigen linksradikalen Filmpublikationen in maßlosen Forderungen zur Notwendigkeit erhoben, begann eine Gruppe mehr politisch als filmisch engagierter Amateure, die sich kühn „Jungfilmer” nannten und nennen (wobei diese Altersdetermination wohl nur den Geist, nicht die tatsächlichen Lebensjahre der Anhänger dieser Bewegung deklariert), das „Ende von Papas Kino” zu verkünden, was heißen soll, weg vom bisherigen konventionellen Film (auf • han cyeryjch gejcqnn, r, koęppaęrįziellęf,Basis),zum „agitatorischen” Kino einer bestimmten, zumeist politischen „Aus- 1 sage”.

Diese radikalen Filmumformer störten zunächst die Festivals als verdammenswerte Einrichtungen des „Establishment” — da ihnen mit ihren eigenen, dilettantischen Werken der Zugang dazu verwehrt wurde. So wurde Cannes, durch innerpolitische Umstände begünstigt, leichte Beute, Berlin lächerlich gemacht und Venedigs Ruf als historisch- geheiligter Filmfestival-Gral empfindlich zerrupft Mannheims Filmwoche hatte sich — als letztes Festival des Jahres — auf ähnliche Manifestationen vorzubereiten und tat dies gründlichst…

Die gewitzte und kluge Programmleitung füllte also die Filmwoche mit Werken dieser pseudo-cinėastischen Filmrevolutionäre, damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend: einesteils war das Gebiet des Kurzfilms ohnedies total „verwaist”, andernteils beruhigte man die zornigen Gemüter, indem man demokratische Toleranz bewies (was den so radikalen Festivalumfunktionierern selbst völlig fehlt!). Das Ergebnis war tragisch: die „Jungfilmer” schaufelten sich ihr eigenes Grab — nicht nur in den Ergebnissen aus ihren amateurhaft-dilettantischen „Experimenten”, sondern auch in den Begegnungen mit ihnen anläßlich der Vorführungen oder der „permanenten Diskussionen”, die die ganze überhebliche geistige Leere dieser wirren Wohlstandskinder demonstrierte.

Fast schadenfroh kündigte der Filmwochenkatalog an, daß mehr als die Hälfte der 39 im Wettbewerb angenommenen Kurzfilme und vier Erstlingsspielfilme aus der deutschen Bundesrepublik stammen, vom „jungen deutschen Film” hervorgebracht. Und geradezu ironisch muß die Eröffnungsrede des künstlerischen Leiters der Filmwoche gewertet werden — nunmehr, wo Mannheims Ergebnisse vorliegen —, der aufrief, alle Teilnehmer „sich solidarisch zu erklären mit denen, die mit den Mitteln und Möglichkeiten des Films ein kritisches, gesellschaftliches Bewußtsein zu wecken und zu erhalten versuchen!” Mit größtem Vergnügen…

Die wenigen positiven Ereignisse von Mannheim — schweigt man von dem Charme der Stadt, der Liebenswürdigkeit der Atmosphäre der Veranstaltung und der ganzen Bevölkerung sowie den wirklichen Erkenntnissen, die die Begegnung mit den „revolutionären Filmgestaltern einer neuen Generation” vermittelte — sind schnell aufgezählt: ein ausgezeichneter dokumentarischer (Fernseh-) Film von Erika Runge („Warum ist Frau B. glücklich?”), BRD, über die soziale Lage einer Bergmannswitwe aus dem Ruhrgebiet, eine überraschende Satire aus den USA („Bach to Bach”) von Paul Leaf über eine „gepflegte Konversation”, ein gekonnter jugoslawischer Zeichenfilm („Von Löchern und Pfropfen”) von Ante Zaninovic, eine interessante ungarische Studie („Wegen dir bin ich böse”) von Marianne Szemes über die hohe Selbstmordziffer in ihrem Land, ein bild-ton-rhythmischer Scherz von Frieder Mayrhofer, BRD, über den amerikanischen Fußballsport („Football”) — und die alles überragende, vierte Episode eines schweizerischen vierteiligen 105-Minuten-Films „Angele” von Yves Yersin, eine filmisch ebenso reife wie psychologisch erfaßte Studie einer 72jährigen Frau, die in ein Altersheim gebracht wird.

Hier schwiegen selbst die taktlosesten und lautesten Jungrevolutionäre betroffen…

Sieht man von schon bei anderen Festivals gezeigten und in Mannheim der Informatio halber wiederaufgeführten abendfüllenden Filmen ab (wie z. B. von Argentiniens mitreißender „La Hora De Los Hornos”), war das eindeutige „Erlebnis” in dieser Kategorie Roland Klicks Spielfilmdebüt „Bübchen”; von den kollegialen Neidern ausgebuht und ausgepfiffen, in der mitternächtlichen Diskussion wegen der Klarheit, Reinheit und Verständlichkeit seines Werkes aggressivst von revolutionären Jungfilmern verhöhnt, beweist der Film, der (auf Grund tatsächlicher Begeben-

hei ten) die Studie eines 9 jährigen Buben, der seine kleine Schwester tötet, in unglaublicher Milieuechtheit, psychologischer Durchdringung und größtem filmischen Können enthüllt, daß Klick — heute 29jährig — derzeit das bedeutendste Talent einer neuen deutschen Filmregiegeneration darstellt. Da der Film bereits in Deutschland einen Verleih besitzt, ist anzunehmen, daß er auch in Österreich — eines Tages — zu sehen sein wird (im Künstlerhauskino?); dann wird mehr über ihn zu sagen sein.

Die Mannheimer Filmwoche 1968 hat sich also durchaus gelohnt: erstens gab es doch Filme, wenn auch nur ganz wenige, die den Gast das Kommen nicht bereuen ließen; zweitens als „Ort der Begegnung” — ein vom Leiter der Woche ausgesprochenes, berechtigtes Motto…Und drittens durch die dankenswerte Erkenntnis, daß das in Photogeschäften verkaufte Filmmaterial und auch die Kameras dazu heute schon sehr billig sind, zu billig, sonst gäbe es nicht soviel lärmstarken wuchernden Dilettantismus, der sich das Recht anmaßt, ernst genommen zu wenden …

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