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Gute und andere Filmmusik

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Dereits der Stummfilm kannte eine Art musikalischer Unter- " malung. Diese hatte zwar noch nicht Selbstzweck, denn es galt, das störende Geräusch des Projektionsapparates zu übertönen. Ein Klavierspieler leierte sein ganzes Repertoire mehr oder weniger geeigneter Stücke herunter. Schon früh wurde der Klang durch die Mitwirkung eines Schlagzeugers „bereichert“, der mit seinen Instrumenten allerhand Effekte des Bildes „vertonte“, angefangen beim Donnerrollen über die Ohrfeige bis zur Autohupe. Der Pianist seinerseits wechselte bei tragischen Szenen vom Kliffiiftiafifsr Jia BBittmuni qw this Jgnii

Diese Belustigungen wurden bekanntlich vorerst auf Jahrmärkten, später in Kaffeehäusern geboten. Die große Nachfrage führte schließlich zum Bau spezieller Vorführräume, was eine Vergrößerung des Orchesters notwendig machte. Während kleine Theater bei ihrem Ein- oder Zweimannensemble blieben, beschäftigten finanziell stärkere Unternehmen reichere Klangkörper mit eigenem Kapellmeister. Dieser hatte Gelegenheit, sich die Filme vorher anzusehen und passende Stücke dazu auszuwählen, die er aus allen Sparten der Musik schöpfte, aus Oper, Operette, Tanz- und Unterhaltungsmusik. Die zu diesem Zwecke von geschickten Arrangeuren geschaffenen Salonorchesterausgaben ließen sich von den verschiedensten Instrumentenensembles spielen. Noch heute werden diese Bearbeitungen von den Kaffeehausorchestern verwendet.

Gegen Ende der Stummfilmzeit schrieben gewisse Komponisten— man kann sie als die ersten eigentlichen Filmkomponisten bezeichnen — spezielle Musik für immer wiederkehrende Szenen und Stimmungen. Die so entstandene Kinothek umfaßte beispielsweise Begleitmusik zu Liebesszenen jeder Länge, zu Tumulten, Verbrecherjagden usw. Die verschiedensten Naturstimmungen, ja sogar jedes Nationalkolorit, waren musikalisch erhältlich. Für diese Kinothek schrieb Arnold Schönberg seine Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, op. 34, mit den Episoden: Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe.

Schließlich gab man jedem Film seine eigens für ihn komponierte Musik mit; zusammen mit der Filmrolle wurde vom Produzenten auch gleich die Orchesterpartitur zuhanden des Hausorchesters mitgeliefert. Die Filmpaläste großer Städte beschäftigten erstklassige Orchester, die von namhaften Dirigenten geleitet wurden. Immer mehr tauchten große Komponistennamen auf, welche sich für den neuen Seitenzweig der Musik zu interessieren begannen. Richard Strauss bearbeitete persönlich seinen „Rosenkavalier" für den Stummfilm.

Als die vor dem Ruin stehende Warner-Brothers-Gesellschaft 1925 begann, zwecks Publikumsanreiz die Musik durch photographische Aufzeichnung auf den Filmstreifen zu bannen, hielt der Tonfilm unaufhaltsam Einzug. Für den größten Teil der in Filmtheatern beschäftigten Musiker bedeutete dies eine soziale Katastrophe. Nur Orchester mit bestqualifizierten Kräften fanden vorübergehend Arbeit in den Filmstudios. Auch die durch den Deutschen Musikerverband im Jahre 1930 verfaßte Streitschrift gegen den Tonfilm konnte die Entwicklung nicht aufhalten; allein in Deutschland mußten 12.000 arbeitslose Musiker nach einer neuen Existenzmöglichkeit Ausschau halten. Der Tonfilm erlangte unheimlich schnell eine technische Vollkommenheit, wogegen die künstlerische Entwicklung nur langsam vor sich ging. Anfänglich erklang vom ersten bis zum letzten Meter Musik; allmählich fügte man sie nur dort ein, wo das Aussagevermögen des Bildes, des Dialogs und der Geräusche aussetzte oder der Unterstützung bedurfte. Dadurch wurde die Musik der bloß unterhaltenden Funktion enthoben und half mit, die Realistik der Photographie abzuschwächen oder zu vertiefen.

Es entstanden in der Folge auch die fragwürdigen, dem Geschmack der breiten Masse entgegenkommenden sogenannten Musikfilme: mehr oder weniger seicht erfundene Handlungen oder sentimentalisierte, entstellte Musikerbiographien bildeten den losen Rahmen zu der technisch vollkommenen Wiedergabe bekannter Musikstücke. Das einzig Positive an diesen Filmen war — und ist es bis heute geblieben —, daß durch sie viele Meisterpartituren ins Volk getragen worden sind. Aber selbst da, wo die Musik scheinbar Selbstzweck geworden ist, kommt dem Optischen die Priorität zu: man sieht sich auch diesen Film an. das Hören bleibt sekundär. Interessant und originell sind die Filmversuche, bei denen das Bild zu einer Funktion der Musik wird. Denken wir zum Beispiel an Walt Disneys illustrierte Musik in seinem Trickfilm „Phantasia“ von 1940. Ausgezeichnet vertont sind aber auch seine Dokumentarfilme; die Musik schafft nicht bloß Stimmung, sondern greift zum Mittel der Tonmalerei. Diese sogenannte Programmusik steigt aus dem Absoluten heraus und wird sichtbare Musik. Es dominiert wieder das Optische; die Musik im Film ist in jedem Falle Dienerin. Darius Milhaud hat recht, wenn er behauptet: „Filmmusik schreiben heißt, sich unterordnen“; oder Bela Balacs, der Freund von Bėla Bartök, bekennt: „Der Film ist die Kunst des Sehens.' Wenn dem so ist, kann Strawinsky mit seiner Ansicht „Musik ist eine edle und hohe Kunst, um einer anderen Kunstgattung dienstbar zu sein“, keine Filmmusik schreiben. „Filmmusik wird im allgemeinen nur hingenommen, ohne wahrgenommen zu werden“, sagt der Filmkomponist Edmund Nick. In der Tat wird sie auch selten von den Kritikern besprochen. Die Filmliteratur befaßt sich sozusagen nicht mit ihr. Renė Clair erwähnt in seinem Buch „Vom Stummfilm zum Tonfilm“ (München, 1952) wohl das Script-Girl, nicht aber den Filmkomponisten!

Anfänglich waren es meist Unterhaltungsmusiken die sich durch ihre Bühnenerfolge bereits einen Namen gemacht hatten, wie zum Beispiel Paul Abraham, Ralph Benatzky, Jara Benesch, Nico Dostal, Jean Gilbert, Emmerich Kalman, Eduard Künnecke, Franz Lehar, Robert Stolz usw. Unter dem Druck einer gewissen kulturellen Verpflichtung versuchten die Filmproduzenten schließlich auch Komponisten anspruchsvollerer Musik zu gewinnen. Dies erwies sich als wesentlich schwieriger, denn das Komponieren von ausgesprochener Gebrauchsmusik in kürzester Frist, nach genauen Vorlagen und mit der Stoppuhr in der Hand, entspricht normaler weise nicht der Veranlagung eines ernsthaften Schöpfers.

Trotzdem gelüstete es auch anerkannte Komponisten nach den verlockenden Honorarangeboten, wie zum Beispiel Werner Egk, Wolfgang Fortner, Paul Hindemith, Georges Auric (A nous la li'bertė, Symphonie pastorale, La belle et la bete, Moulin rouge), Arthur Honegger (Les Miserables, Mayerling, L’equipage, Mademoiselle Docteur, La bete humaine, La grande Illusion, Le mu- sicien du ciel), Jacques Ibert (Golgatha), Darius Milhaud. Dimitri Kabalewsky, Aram Chatschaturian (Die Schlacht von Stalingrad), Sergei Prokofieff (Iwan der Schreckliche, Alexander Newsky), Dimitri Schostakowitsch (Goldene Berge), Aaron Copland (Of

Mice und Man), Ernst Toch (Peter Ibbetson) und andere mehr. — Daneben gibt es heute ein Heer von Komponisten, die sich hauptberuflich dem Tonfilm verschrieben haben.

Während Bild und Sprache in der Regel gleichzeitig aufgenommen werden, wendet man bei der Aufnahme von Musik und Geräuschen zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren an. Je nachdem die Tonaufnahmen vor oder nach der Verfilmung stattfinden, spricht man von Vortonung (Playback) oder Nachtonung (Synchronisation).

Ist die Schallquelle im Film sichtbar, so findet heute fast immer das Playback-Verfahren Anwendung. Ein Orchester beispielsweise wird zu der vorher in einem akustisch geeigneten Raum aufgenommenen Musik nachträglich hinzugefilmt. Auf dem Filmstreifen können die Musiker nötigenfalls durch Schauspieler ersetzt werden. Dies geschieht vor allem in den oben erwähnten Musikfilmen.

Untermalungsmusik, deren Quelle nicht sichtbar ist, wird ausnahmslos nachsynchronisiert. Erst wenn der Film gedreht, geschnitten und montiert ist, kann die Arbeit des Komponisten beginnen. Er mißt die Dauer der mit Musik zu versehenden Szenen, notiert sich die Stimmung und allfällige Hauptakzente und schreibt einen Klavierauszug. Aus Zeitmangel werden diese Skizzen oft nicht vom Komponisten selbst, sondern laufend von geschickten Spezialisten instrumentiert. Daß bei einer solchen Arbeitsteilung — sie ist in Hollywood die Regel — die Persönlichkeit des Schöpfers in seiner Musik verlorengeht, ist klar und sehr bedauerlich.

Musik, Geräusche und Dialog werden zunächst auf separaten Bändern aufgenommen, um schließlich vom sogenannten Mixer auf dem Bildband in den entsprechenden Lautstärken vereinigt zu werden.

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