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LEBEN ALS KONSERVE

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So bedeutungsvoll und grundlegend die Live-Sendung für das Fernsehen ist, so haben die vorproduzierten und „aufgezeichneten“ Sendungen doch ihren festen Platz innerhalb des Fernsehprogrammes. Solange daneben die Live-Sendung in einem ihrer Bedeutung entsprechenden Maße vertreten ist und solange durch aufgezeichnete Programme nicht Live-Sendungen vorgetäuscht werden sollen, ist dagegen nichts einzuwenden.

Die scheinbare Bewegung des Bildes kommt auf dem Schirm unseres Fernsehempfängers und auf der Kinoleinwand im Prinzip auf die gleiche Weise zustande: durch die rasche Aufeinanderfolge einzelner, an sich unbewegter „Phasenbilder“: im Fernsehen sind es fünfundzwanzig pro Sekunde, beim Film vierundzwanzig. Das legt — da man den Film ohne weiteres auch mit fünfundzwanzig Bildern pro Sekunde vorführen kann — den Gedanken nahe, im Fernsehen auch Filme als „Programmquelle“ zu verwenden; und in der Tat wurde von dieser Möglichkeit schon in den Anfangszeiten des Fernsehens Gebrauch gemacht.

Nun ist aber die Filmübertragung im Fernsehen nicht nur eine Frage der Technik — die ja schon seit langem gelöst ist —, sondern auch eine der Gestaltung. Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Der Kinofilm, der, auf eine große Bildwand projiziert, vor einer größeren Zuschauermenge abläuft und hier stark auf die Bereiche des Emotionalen und des Unbewußten einwirkt, unterliegt anderen Gestaltungserfordernissen, als sie der Fernsehempfang in der intimen Sphäre des Heimes, mit der diesem Umstand angepaßten Bildgröße und mit der bewußteren, kritischeren, distanzierteren Aufnahme durch den Fernsehzuschauer verlangt. So wird jeder Kinofilm bei der Wiedergabe auf dem Fernsehschirm viel von seiner Wirkung verlieren, während manche für das Fernsehen wesentliche Gestaltungselemente fehlen. Das darf man aber weder aus einem Mangel des Films noch aus einem des Fernsehens herleiten wollen. Der Kinofilm gehört eben in das Kino und nicht auf den Bildschirm. Das Fernsehen hat andere Aufgaben. Es würde allenfalls noch der Vermittlerfunktion des Fernsehens entsprechen, würde man besonders interessante oder künstlerisch wertvolle neue Filme zeigen: aber gerade das geschieht ja — nicht durch die Schuld des Fernsehens — grundsätzlich nicht.

Diese Überlegungen gelten nun vor allem für den Spielfilm. Etwas weniger strenge Maßstäbe kann man auf dem Gebiete des Kultur- und Dokumentarfilms anlegen. Hier kann ein interessantes Thema allein schon die Fernsehübertragung eines für das Kino bestimmten Films rechtfertigen. Daß ein gut gemachter Kino-Dokumentarfilm auch auf dem Bildschirm zu überzeugender Wirkung gelangen kann, bewies zum Beispiel der kürzlich im Fernsehen gezeigte Kurzfilm „Glas“ von Bert Haanstra.

Anderseits aber bietet der Film auch die Möglichkeit, die einmalige Live-Sendung festzuhalten, indem sie direkt vom Bildschirm weg auf Film aufgenommen wird.

Das geschieht natürlich nicht an einem Empfänger, wie wir ihn im Heim stehen haben, sondern in eigenen Filmaufzeichnungsanlagen mit einem Spezialbildschirm; hier sind auch besondere Maßnahmen zur Überwindung einer technischen Schwierigkeit getroffen: die Zeit, die zwischen den einzelnen Phasen- bildem des Fernsehens zur Verfügung steht, ist viel kürzer als die Zeit, die man braucht, um in der Filmkamera den Film von einem Bild zum nächsten weiterzutransportieren. Selbstverständlich muß auch dafür gesorgt werden, daß der Bildwechsel in der Kamera völlig synchron mit dem Fernsehbildwechsel erfolgt. Außerdem enthält eine solche Anlage jeweils zwei Filmkameras, um das pausenlose Aufnehmen auch längerer Sendungen zu ermöglichen.

Wenn nun auch die Bildqualität bei einer solchen Fiimaut- zeichnung hinter der des Originalbildes merklich zurücksteht, so hat man damit doch die Möglichkeit, Live-Sendungen zumindest in Form einer Filmaufzeichnung zu wiederholen. Man darf nur nicht versäumen, den Zuschauer auf diese J atsache ausdrücklich aufmerksam zu machen. Irgendwann bemerkt er es doch, daß er da eine Aufzeichnung sieht, und fühlt sich betrogen, wenn er die Sendung vorerst für eine direkte Live-Sendung halten mußte.

Eine wesentlich größere Rolle spielt der Film allerdings als Produktionsmittel im Fernsehen, also für Sendungen, die von vornherein als Film produziert werden sollen. Das betrifft nun vor allem einmal das Gebiet“ der aktuellen Reportagen. So wirkungsvoll und so wesentlich fernsehgemäß auch die Direktübertragungen aktueller Ereignisse sind, sie können sich immer nur auf Einzelfälle beschränken. Nur die kleine, leicht bewegliche Filmkamera kann zu jeder Zeit und an jedem Ort auch bei unvorhergesehenen Ereignissen dabei sein und so dem Zuschauer einen echten Querschnitt der wichtigen Tagesereignisse geben.

Nicht geringer ist die Bedeutung des Films auf dem Sektor der Dokumentarsendungen. Wenn man auch solche -Berichte — viel öfter als es bei uns geschieht - in geeigneten Fällen als direkte Live-Sendung bringen könnte und sollte, so scheint gerade das Fernsehen dazu berufen zu sein, dem Kultur- und Dokumentarfilm neue Bereiche zu erschließen. Selbstverständlich müssen auch bei solchen Filmen, wenn sie speziell für das Fernsehen produziert werden, die dem Fernsehen eigenen Gestaltungserfordernisse berücksichtigt werden.

Schließlich kann auch in live gesendeten Dokumentarberichten die Mitverwendung von Filmaufnahmen von wesentlicher Bedeutung sein. Es ist dann eine wichtige Aufgabe der Gestalter einer solchen Sendung, dem Zuschauer den Film oder die Filme im geeigneter Form im Rahmen der Live-Sendung zu präsentieren.

Bezüglich des Fernsehspiels wurde auf die Bedeutung und die Wichtigkeit der Live-Sendung gerade auch auf diesem Gebiete in unserer letzten Fernsehseite bereits hingewiesen. Daß das Fernsehen aber auch größtes Interesse daran hat, daneben solche Sendungen auch als Film - also Fernseh-Spielfilme - zu produzieren, liegt auf der Hand. Es sind aber nicht nur die unmittelbaren Vorteile bei der Herstellung (Möglichkeit der Vorproduktion, leichtere Beweglichkeit bezüglich Schauspielerterminen und Studioraum), die auch diese Produktionsform rechtfertigen. Der Fernsehfilm bietet nicht nur wieder andere Möglichkeiten (etwa Außenaufnahmen), sondern erlaubt auch

die Anwendung spezifischer Gestaltungsmittel des Films, die in der Live-Sendung nicht oder in anderer Art verwendet werden. Natürlich müssen sich auch hier Auswahl und Einsatz dieser Gestaltungsmittel so wie die ganze Dramaturgie den Eigengesetzlichkeiten des Fernsehens unterordnen; wodurch sich ein solcher „Fernsehfilm“ von einem Kinofilm wesentlich unterscheidet.

Was nun das Einblenden oder Einschneiden einzelner auf Film aufgenommener Szenen (etwa solcher, die im Freien spielen) in ein Live-Fernsehspiel betrifft, so muß man sich wohl der vielfach vertretenen Ansicht anschließen, daß dieses Verfahren ein dem Fernsehen absolut inadäquates Mittel darstellt. Sehr gewichtig erscheint dabei der Standpunkt, daß dieses Problem schon vom Autor her gelöst werden müsse. Ein Autor, der ein echtes Fernsehspiel (also für eine Live-Sendung) schreibt, sollte sich ja doch den fernseheigenen Gestaltungsmitteln anpassen und die Notwendigkeit von Filmeinblendungen von vornherein vermeiden, genauso wie man von einem Theaterschriftsteller erwartet, daß er in seinen Stücken nicht Anforderungen stellt, die etwa nur durch die Fernsehtechnik oder die Filmtechnik bewältigt werden können.

Bei allen diesen Überlegungen stößt man naturgemäß immer wieder auf die grundsätzliche Frage nach den Wesensunterschieden zwischen Live-Sendung und Film. Auf die Verschiedenheit der Empfangssituation wurde schon hingewiesen. Zum Teil aus dieser Verschiedenartigkeit resultierend, zeigt sich daneben eine Reihe weiterer grundlegender Probleme, die durch die oft zitierte Verwendung der Totalen einerseits und der Großaufnahme anderseits keineswegs ausgeschöpft werden. Hier spielt zum Beispiel auch die Bedeutung des Realismus eine Rolle. Der im Fernsehstudio geschaffene Realismus beansprucht meist nicht, für die Sache seihst genommen zu werden, er schafft dann eine Wirklichkeitsillusion wie das Theater. Der Film hingegen zeigt stets die echte Wirklichkeit oder zumindest etwas, was der Zuschauer dafür halten muß.

Der grundlegendste Unterschied aber liegt wohl in der Bedeutung der Zeit. In der Live-Sendung läuft das Geschehen auf dem Bildschirm immer in der gleichen Zeit ab, in der es sich vor den Kameras abspielt. Der Schnitt bedeutet nur einen Wechsel des Blickpunktes. Im Film aber wird die Zeit frei gestaltet. Der Schnitt zerlegt nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit in einzelne, nicht mehr notwendigerweise unmittelbar aneinander anschließende Elemente. Es kommt dabei nur auf das Zeitgefühl an, das im Zuschauer entsteht.

Während sich nun diese Diskontinuität der Zeit als für alles spezifisch filmische Erleben wesentlich erweist, scheint im Fernsehen die kausale Verknüpfung der Zeitkontinuität mit dem Wesen der Live-Sendung eine wechselseitige zu sein.

Zum Teil völlig neue Aspekte erhielt dieser ganze Problemkreis durch die technische Entwicklung der letzten Jahre: Dadurch nämlich, daß es nun möglich geworden ist, nicht nur den Ton, sondern auch das Bild auf Magnetband aufzuzeichnen. Darüber soll auf unserer nächsten Fernsehseite berichtet werden.

Vor dem Bildschirm

„WIENER MELANGE“, welch vielversprechender Titelt „Be- gegnung mit…“ (es folgen Namen von bekannten Künstlern), was für ein verheißungsvoller Untertitel! Aber dann muß man feststellen, daß sich die „Begegnung“ darin erschöpft, daß man einige der Genannten etwa an einem Tisch sitzen sieht, und daß andere irgendwelche „Rollen“ spielen. Und Wien, das ist

— dieser Filmreihe zufolge — nicht viel mehr als Denkmäler und Festwochen, Heuriger und Opernpassage. Bleibt also nur die Melange: eine trübe, fade Melange, ohne Geist und Witz

— nur mit „Witzen —, mit einer konstruierten Handlung, einem stellenweise unerträglichen Text und einer ungekonnten Gestaltung. Wohl so ziemlich das Schlechteste, was das Österreichische Fernsehen in dieser Art produziert hat, dachten wir. Aber wir haben uns getäuscht.

DAS „TELEJOURNAL“ (2. Folge) hat alles bisher Dagewesene noch weit unterboten. Eine solche Anhäufung von Banalität, Kitsch, Geschmacklosigkeit und Geblödel allerniedrigster Klasse hätte man nicht für möglich gehalten. Wenn dann noch eine sehr ernst zu nehmende Sache (nämlich die Aktion „Künstler helfen Künstlern“) hineingemengt wird, kann man das Ganze nur als verantwortungslos bezeichnen.

ABER ES GIBT — auch wenn wir uns diesmal vorwiegend mit Filmsendungen befassen wollen — daneben auch durchaus Erfreuliches zu berichten. Die Fernsehfilmproduktion Dr. Scheiderbauer, deren erste bei uns gezeigte Filme sich nicht allzuviel von dem üblichen Untermittelmaß unterschieden, ist in letzter Zeit durch etliche bemerkenswerte Leistungen hervorgetreten. Die Filme der Reihe „So leben wir alle Tage“ sind in der Wahl und Behandlung des Themas außerordentlich interessant und zeigen erfreuliche Ansätze einer überlegten, fernsehgemäßen Gestaltung.

DASSELBE GILT AUCH für die letzte Sendung der Filmreihe „A u ch das ist Österreic h“, die derselben Produktion entstammte. Unter dem Titel „Nächstenliebe in dieser Zeit“ wurde in sehr ansprechender Form über das Jugendproblem unter dem Aspekt der Verpflichtung und Verantwortung der Erwachsenen, über das Wirken karitativer Organisationen, über das Altersproblem und über die Geschenkwahl berichtet. Gut gestaltete Bildfolgen verbanden sich vorzüglich mit einem das Bild gelegentlich auih kontrastierenden Text. Eine sehr erfreuliche Sendung, die sich gut in den Rahmen der Adventszeit einfügte.

NICHT GANZ SO GUT sind die Scheiderbauer -Filme über das Ge l d. Hier hat man den Eindruck, daß zuviel auf einmal gezeigt werden soll, was auch in der ruhelosen Hast zum Ausdruck kommt, mit der sich der Sprecher offensichtlich müht, den allzu umfangreichen Text in der vorgegebenen Zeit zu „erledigen“.

ZUM BESTEN, was auf dem Gebiete des Dokumentarfilms über den Bildschirm kommt, gehören zweifellos die in der Reihe „Expedition ins Unbekannte“ gezeigten Hans-Hass- Filme. Diese Blicke in ein Reich ungeahnter Wunder der Schöpfung, die sachlichen, Jas Sw nach Zusammenhängen und das eigene Staunen nicht verbergenden Kommentare und die vorbildliche Gestaltung machen diese Filme zu einem faszinierenden Erlebnis.

DASS AUCH DAS FERNSEHEN selbst ganz ausgezeichnete Filmsendungen produzieren kann, bewies die vorweihnachtliche Sendung der Reihe „Hausfrau sein dagegen sehr“ (Buch und Regie: Otto Kamm). Die sichtlich bemühte Gestaltung gab der Sendung eine sehr gewinnende Form. Besonders gut gelöst waren etliche Szenenübergänge, durch die einzelne Abschnitte miteinander verbunden waren. Inhaltlich war die Sendung ganz vorzüglich. Da wurde über das Thema „Kinderspielzeug“ wirklich Wesentliches und Wissenswertes gesagt, ohne daß man je den lehrhaft erhobenen Zeigefinger gespürt hätte.

AUCH DIE AUS EINER recht guten Verbindung von Life und Film entstandene Sendung „Der heilige Nikolaus“ (Leitung: Otto Anton Eder) fiel durch die nette Gestaltung und vor allem durch die gekonnte Behandlung des Themas auf. Sorgfältig wurde hier den Ursprüngen und damit auch den tieferen Bedeutungen der Legenden und Bräuche um die Figur des „Nikolo“ nachgespürt, die heute mehr und mehr ihren eigentlichen Sinn verliert und in die eines geschäftstüchtigen „Goodwill“ -Managers verzerrt wird.

DIE FILMREIHE „DER MENSCH VON MORGEN" von und mit Univ.-Prof. Dr. Hans Thirring hat ihre anfänglichen großen Schwächen (Vergleiche Furche 50 1960) allmählich abgelegt. In der Sendung über die Technik der Zukunft sprach Professor Thirring allein, die Diagramme — durch einfache Tricks wesentlich verdeutlicht — waren leicht verständlich und wurden eingehend erläutert. Das Bild des Vortragenden wurde anfänglich nur dann und wann von einzelnen, dafür in sich geschlossenen und das Wort unterstützenden Bildfolgen unterbrochen. Wenn dieses Prinzip auch gegen Ende der Sendung etwas verwässert wurde, so war sie in dieser Form immerhin akzeptabel; inhaltlich war sie übrigens ausgezeichnet. Trotzdem bleiben wir bei der Ansicht, daß gerade eine solche Sendung live übertragen werden müßte. Vorträge und Interviews, auf Film aufgenommen und dann noch mit angeblich filmischen Mitteln gestaltet, sind auf dem Bildschirm schwer erträglich.

BESONDERES LOB aber gebührt dem Österreichischen Fernsehen dafür, daß es den Kurzfilm „G l a s“ von Bert Haanstra gezeigt und so seinen Zuschauern die seltene Gelegenheit geboten hat, eines der berühmtesten Meisterwerke des modernen Kurzfilms kennenzulernen. Trotz des Fehlens der — im Original äußerst wirkungsvoll eingesetzten - Farben kam dieser großartig gemachte Film auch auf dem Bildschirm zu eindringlicher Wirkung.

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