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Muß man die Feste feiern, wie sie fallen ?

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Auf dieser auch unter dem Überfluß leidenden Welt gibt es — man höre und staune — 84, in Worten: vierundachtzig, Festivals der zehnten Muse (die allen ihren Schwestern gewidmeten Festspiele erreichen diese stattliche Zahl nicht). Es gibt sie vom australischen Melbourne bis zum kanadischen Vancouver, an lateinamerikanischen Gestaden, im mexikanischen Hochland, an der Moskwa, an Rhein, Ruhr und Spree, in der Südsee, am Karibischen Meer, zu Füßen des Himalaja, des Libanon, der Pyrenäen und sogar, wie beabsichtigt, im zentralafrikanischen Busch, wo man dank des rührigen Goethe-Instituts beispielsweise auch über die „Obermünchhausener“, das sind die bundesrepublikanischen Filmfreischärler, bis ins einzelne informiert ist. An 84 Orten und Örtchen dieser Erde, zu denen man manchmal nur mit einspurigen Kleinbahnen, wackligen Postautos, nicht ganz betriebssicheren Vehikeln der Fluß- und Küstenschiffahrt, je nachdem natürlich auch mit Ozeandampfern, Kontinentalexpressen und Düsenflugzeugen gelangen kann, wird im Namen der Kinematographie „gefestivalt“. Es grenzt mitunter schon an Namensmißbrauch, wenn nicht gar -Schändung.

Die umfängliche Statistik verzeichnet große, mittlere kleine und Kleinst- oder Ziuergfestspiele, diese vielfach von ausschließlich lokaler Bedeutung. Die sogenannten Manifestationen werden von allen möglichen und auch unmöglichen Leuten oder Organisationen aufgezogen. Sogar Regierungen treten solcherart als „Unternehmer“ auf. Der Anlässe, besser: Vorwände, gibt es, wenn auch nicht 84, so doch Dutzende. Sie reichen vom Lokalpatriotismus bis zur Politik, und von da zum weltumspannenden Interessengebiet des Tourismus. Offiziell heißt es indes stets, der „gute Film“ oder, anspruchsvoller, die „Filmkunst“ soll gefördert werden.

Die festivalseits zu fördernde „Filmkunst“ ist in jeder Menge, Länge, Breite, Gattung, Thematik (zum Beispiel Hochalpinismus, Folklore, Erbauung, Jux — aber gewiß doch: im italienischen Bordighera gibt es das vielleicht gerechtfertigste aller Festivals, das des Humors) vertreten. Und stets sind auch Preise da, die meist mit „golden“ beginnen, ohne es jedoch zu sein, und die aus Natur und Manufaktur alles nur Denkbare umfassen: Bären, Löwen, Möwen, Palmen, Oliven, Alpenrosen, Enziane — die Blume, versteht sich, nicht der gleichnamige Wurzelschnaps; dieser vu>ird in Trient, beim Festival der Bergkraxler und ^/cfeäWer, zusatzlich verabfolgt. Ferner Muscheln, Segel, ife'ptwne, Janusköpfe und so weiter und so fort. Manchmal gibt es sogar Geld, beispielsweise in dem reichen Bergamo und in dem auch nicht gerade armen Mannheim. Da kassieren die Produzenten also noch klingende Münze ... ,

Was uns auf eine Idee bringt: Warum sollten die Produzenten nicht auch zahlen? Sozusagen mit der Abgabe der Teilnahmeerklärung beziehungsweise der Vorlage des Wettbewerbsfilms eine Art „Einstand“ entrichten? Denkbar wäre ein bestimmter Geldbetrag, der zurückerstattet wird, wenn der gemeldete Film einen Preis — wohlverstanden: einen der bereits bestehenden, nicht etwa neu zu schaffenden Preis — erhält, und der zugunsten einer karitativen Institution verfällt, wenn der Streifen ergebnislos konkurriert. Einfachheitshalber könnte die zu hinterlegende Summe die propagandistisch behaupteten Herstellungskosten sein (beim „Längsten Tag“ zum Beispiel zehn Millionen Dollar, bei „Ben Hur“ 15 Millionen, bei der „Meuterei auf der Bounty“ 20 Millionen Dollar, bei der „Cleopatra“ gar 30 Millionen Dollar — was den nützlichen Nebeneffekt hätte, daß die Monumentalproduktion plötzlich billiger und die Werbung redlicher würde). Doch seien wir realistisch: Der zehnte Teil tät's auch. Kurzfilme dürften selbstverständlich von einer solchen Regelung nicht ausgenommen werden.

Der weitere Gang der Dinge wäre, könnte man sich überall zu dieser Maßnahme verstehen, leicht abzusehen: Die Produzenten werden es sich hundert-, ja tausendmal überlegen, ob sie belichtetes Zelluloid, das keine sicheren Gewinnaussichten hat, nominieren sollen. Jäh würde man in dieser Branche eine ungeahnte Zurückhaltung (im wahrsten Sinne des Wortes) beobachten können. In der Folge könnte dann auch der durchaus wünschenswerte Fall eintreten, daß ein Festival überhaupt keine Angebote mehr erhält und „mangels Masse“ eingeht. Was nicht unbedingt ein Verlust zu sein braucht. Von den 84 Veranstaltungen dieser Art sind nach unserer Meinung ohnehin 82 überflüssig. Einer Erhebung von Jacques Flaud, dem ehemaligen Direktor des französischen „Nationalen Filmzentrums“ zufolge, kommen auf tausend in der Welt hergestellte Leinwandprodukte nur acht künstlerisch einigermaßen qualifizierte Werke. Diese dürftige Ausbeute reicht zur Beschickung von allenfalls zwei Festivals aus — unter der Voraussetzung, die internationale Produktion schaffe in allen Kategorien jährlich 10.000 Titel.

Vielleicht zieht man in Paris, am Sitz des für Filmfestspiele zuständigen, in Sachen „Festivalitis“ jedoch machtlosen Internationalen Produzentenverbandes diesen Vorschlag einmal in Erwägung. Seine Befolgung könnte die Situation schlagartig, um nicht zu sagen: kahlschlagartig, ändern. Und der Kinematographie einen Dienst von unschätzbarem Wert erweisen.

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