tom mccarthy - © Constantin

"Spotlight"-Regisseur Tom McCarthy: "Es ist großartige Zeit für lokale Korruption"

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Tom McCarthy, Regisseur des diejährigen Oscar-Gewinners "Spotlight", über den Niedergang des investigativen Journalismus.

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Tom McCarthy, Regisseur des diejährigen Oscar-Gewinners "Spotlight", über den Niedergang des investigativen Journalismus.

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Als Schauspieler ist Tom McCarthy seit Jahren Seriendarsteller im TV sowie auch in vielen Hollywoodfilmen zu sehen. Für sein Drehbuch beim Animationsfilm "Oben" gab es schon 2009 eine Oscar-Nominierung. Nun ist Tom McCarthy als Regisseur des Oscar-Hauptpreisträgers "Spotlight" im Kino-Olymp angekommen.

DIE FURCHE: Der aufgedeckte Missbrauch in Bostons katholischer Kirche gilt als Paradebeispiel für exzellenten Aufdeckerjournalismus.

Tom McCarthy: Diese Einstellung zum Journalismus stammt im konkreten Fall von Martin Baron, der 2001 als neuer Chefredakteur zum Boston Globe kam und gleich an seinem allerersten Arbeitstag eine Sondertruppe von investigativen Journalisten auf diesen Skandal in der Kirche ansetzt. Es ist sein erster Arbeitstag, 10 Uhr 30, die Morgenkonferenz. Die Kollegen sind erst einmal geschockt. Er hatte eine starke Vision von Aufdeckerjournalismus.

DIE FURCHE: Glauben Sie, dem sexuellen Missbrauch in der Kirche kann man irgendwie beikommen?

McCarthy: Sexuellen Missbrauch gibt es in der Kirche ja seit Jahrhunderten, und das ist nicht von heute auf morgen zu stoppen. Ich wollte aber der Frage auf den Grund gehen: Wie kann es so weit kommen, dass Missbrauch passiert, und niemand redet darüber? Die katholische Kirche hat sich ja nicht nur durch ihre Mitglieder schuldig gemacht, die den Missbrauch ausgeübt haben, sondern vor allem institutionell dadurch, dass man all diese Fälle vertuscht hat und intern regeln wollte. Darin liegt der Skandal. Das Problem ist, dass durch diese Vertuschungen die Gerichte nicht ordentlich arbeiten können. Das Problem wurde auch lange bagatellisiert. Man redet einfach nicht darüber. Oder man spricht von "Einzelfällen".

DIE FURCHE: Was können Medien in Fällen wie diesem falsch machen?

McCarthy: Dass auch sie nicht schreiben, was sie wissen. Ich kenne viele Fällen, über die man seit Jahren Bescheid wusste, und niemand wagte es, darüber zu schreiben. Bill Cosby ist ein gutes Beispiel.

DIE FURCHE: Investigativer Journalismus ist für Verlagshäuser kaum mehr leistbar, zumal erwartet wird, dass Information im Netz gratis bleibt.

McCarthy: Das stimmt. Ich sehe, dass in den USA der Journalismus mehr und mehr dezimiert wird. Mein Film zeigt, was passiert, wenn man eine starke freie Presse hat. Es gibt fast keine freie Presse mehr in den USA, es ist schrecklich, was da passiert ist in den letzten Jahren. Ich glaube, dass die amerikanische Öffentlichkeit noch gar nicht vollständig kapiert hat, was sie hier verloren hat. Das Problem beruht auf einem Missverständnis: Als das Schlagwort der "Neuen Medien" auftauchte, sagten alle begeistert: "Toll, wir können jetzt alles online stellen!" Niemand überlegte jedoch, wer all diese Inhalte generieren soll. Vor allem im Lokaljournalismus - und unsere Geschichte in Boston war genau so etwas - gibt es heute kaum mehr Reporter, all das verschwindet rapide. Ohne diese lokal verankerten Journalisten, die die Cops kennen, die Richter und die Anwälte, hätte man so einen Skandal niemals aufdecken können. Und genau diese Art von Journalismus stirbt gerade. Wer also einen Nebenjob braucht: Es ist gerade eine großartige Zeit für lokale Korruption. Denn niemand deckt sie auf.

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