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Joseph Beuys liegt wieder im Trend. Zwei Ausstellungen in Krems und eine große Schau in Berlin widmen sich dem 1986 verstorbenen Ausnahmekünstler. Ein Annäherungsversuch.

Der Mann mit dem Filzhut war die schillerndste Figur der deutschen Nachkriegskunst. Von seinen Verehrern wurde er zu Lebzeiten als Kunstguru messiasähnlich gefeiert - von Kritikern aufs Heftigste attackiert. Seine Sprüche wie "Jeder Mensch ist ein Künstler" gingen genauso ins Allgemeinwissen ein wie die legendäre Pflanzaktion von 7000 Eichen für Kassel (1982) im Rahmen der documenta - eine medienwirksame Verbindung aus Umweltschutzevent und Kunstereignis.

Wie kaum bei einem zweiten haben sich die Theoretiker in unzähligen Büchern und Tagungen an seinem hermetischen Werk die Zähne ausgebissen. Allerdings war es im letzten Jahrzehnt erstaunlich still um Joseph Beuys geworden. Sogar anlässlich seines zwanzigsten Todestages im Jahr 2006 hielten sich die Jubiläumsveranstaltungen in Grenzen. Für Aufsehen sorgten lediglich extreme Kritiker wie erst kürzlich der Kunsthistoriker Beat Wyss, der Beuys in einem Aufsatz in der Kunstzeitschrift Monopol seine Hitlerjugend vorwarf, die er angeblich verinnerlicht hatte. Gerade ihm, der mit seiner Vitrine "Auschwitz Demonstration" (1956-64) eine der ersten und intensivsten Auseinandersetzungen mit dem Holocaust schuf, rechtes Gedankengut vorzuwerfen, sei absurd, konterten Beuys-Vertraute empört. "Ja, ich bin schuldig" hat Joseph Beuys 1979 in New York einem jungen Amerikaner auf die Frage nach der deutschen Vergangenheit geantwortet, und vor seiner Skulptur "Doppelfond" (1954) schrieb er in übergroßen Lettern: "Damit ich mich nicht leichtfertig aus dieser Hölle entferne."

Mit Hut auf dem Kopf im Café Sacher …

Was blieb von dem großen Reformer und Utopisten, der Wien einmal erbost verließ, als man ihn im Café Sacher zwingen wollte, seinen Hut abzunehmen? Ob Wahrheit oder Legende: Der 1921 in Krefeld geborene Künstler gab stets eine persönliche Grenzerfahrung als Ursprung seines künstlerischen und gesellschaftspolitischen Handelns an. Als Joseph Beuys im Zweiten Weltkrieg auf der Krim mit einem Flugzeug abstürzte, pflegten Tataren den Schwerverletzten: "Hätte es die Tataren nicht gegeben, ich wäre heute nicht mehr am Leben. […] Die Erinnerung an diese Ereignisse sind Bilder, die sich mir eingeprägt haben. […] Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrte, und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält."

Filz und Fett wurden in der Folge auch zu den bevorzugten Materialien des Künstlers; die Kreativität erklärte er später zum einzigen Moment, das dem Menschen Freiheit und Selbstbestimmung garantiere. Beuys' Utopie lag darin, den künstlerischen Prozess auf alle Lebensbereiche auszudehnen. Den Begriff "Skulptur" definierte er komplett neu, indem er auch soziale Aktivitäten dazurechnete ("Soziale Plastik"). Dabei meinte Beuys keineswegs, wie oft missverstanden, dass jeder Mensch gut zeichnen oder bildhauern könne: "In dem Satz, Jeder ist ein Künstler' wird einfach gesagt, dass der Mensch ein kreatives Wesen ist, dass er als Kreator produzieren kann, und zwar sehr vielfältig. Es ist mir im Prinzip gleichgültig, ob die Produktion von einem Maler oder Bildhauer stammt oder von einem Physiker."

Friedensaktivist und Umweltschützer

Beuys auf die Spur zu kommen ist kein Leichtes. Denn die charismatische Figur ließ sich in kein herkömmliches Berufsbild zwängen. Zeit seines Lebens schlüpfte Beuys entsprechend seinem erweiterten Kunstbegriff in ganz unterschiedliche Rollen - war Zeichner und Bildhauer genauso wie Naturphilosoph, Gesellschaftsanalytiker, Friedensaktivist und Umweltschützer. Zu seiner Kunstauffassung gehörte auch politisches Agieren. 1979 war Beuys einer der Gründungsmitglieder der deutschen Grünen, 1971 rief er die "Organisation für direkte Demokratie" ins Leben und 1974 gründete er gemeinsam mit dem Schriftsteller Heinrich Böll die "Freie Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung". Dass viele der Beuys'schen Ideen auch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts alles andere als überholt sind, wird sichtbar, wenn man sein Schaffen mit gegenwärtigen Problemstellungen vergleicht. Beuys stellte den Fortschrittsgedanken der Industriegesellschaft in Frage und spürte dem Verhältnis von Mensch, Natur und Technik nach - etwa in Form seines "Erdtelefons" (1968), bei dem er auf einem Brett einen Erdklumpen mit einem Telefon verband. Genauso eindringlich befasste er sich mit der Interaktion zwischen Mensch und Tier, indem er mit einem "Toten Hasen" Zwiesprache hielt (1964) oder sich bei der Aktion "I like America and America likes Me" (1974) vier Tage lang in einer New Yorker Galerie mit einem Kojoten gemeinsam einsperren ließ.

Beuys' Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Denkkonzepten der Kontinente Europa und Asien sowie sein Versuch, eine raumübergreifende Alternative zu Ost und West in Form von "Eurasien" zu kreieren, sind im Kontext gegenwärtiger Diskussionen rund um Multikulturalismus und das Verschwimmen von geografischen Grenzen aktueller denn je. Nach wie vor spannend erscheint auch vor dem Hintergrund von PISA-Studien und Universitätsreformen seine Bildungspolitik, die konsumkritisch, interdisziplinär, eigenverantwortlich und kreativitätsfördernd ausgerichtet ist: "Es gibt bei allen ein Kreativitätspotential, das durch Konkurrenz- und Erfolgsaggression verdeckt wird. Dieses Potential zu entdecken, zu erforschen, soll Aufgabe der Schule sein." Neue Brisanz haben angesichts des derzeitigen weltweiten Finanzdesasters schließlich auch die radikalen Beuys'schen Ideen zum ökologischen Wirtschaftskreislauf bekommen: "DAS KAPITAL! Geld ist ja gar kein Wirtschaftswert! Der Zusammenhang von Fähigkeit (Kreativität) und Produkt sind die zwei echten Wirtschaftswerte." Nicht zu vergessen: Joseph Beuys hat seine reformerischen und weltanschaulichen Konzepte nicht bloß theoretisch vermittelt. Vielmehr ist es ihm auf unvergleichliche Weise gelungen, sie durch sensible Zeichnungen und hyperästhetische Installationen sinnlich erfahrbar zu machen.

Gegentrend zur durchrationalisierten Welt

Keine Frage, Joseph Beuys ist wieder stark im Kommen, wie dieser Kunstherbst zeigt. Die Kremser Ausstellungen korrespondieren mit einer großen Berliner Schau und auch New York plant für die nächsten Jahre Größeres. Kein Zufall sei das wiedererstarkte Interesse an Beuys, so der neue Kremser Kunstmeilen-Leiter Hans-Peter Wipplinger: "Gerade in unserer durchrationalisierten Welt entstehen Gegentendenzen oder Bedürfnisse nach mythologischen, nach schamanistischen Aspekten und Alchemie, auch nach dem Religiösen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man in einer Zeit, in der es weder von der Politik noch von anderen Systemen große Dogmen gibt, süchtig danach ist, jemanden wieder zu entdecken, der eine klare Vision hatte und der die Gesellschaft als Architekt idealistisch umgestalten wollte."

Joseph Beuys. Schamane

Kunsthalle Krems, Franz-Zeller-Platz 3, 3500 Krems-Stein

bis 1. März 2009, tägl. 10 -18 Uhr (ab 3. November 10 -17 Uhr)

Katalog hg. von Dieter Buchhart und Hans-Peter Wipplinger, Nürnberg 2008, 96 S., € 19,-

Ein Vehikel irgendwo

Joseph Beuys - die Multiples

Forum Frohner, Minoritenplatz 4, 3500 Krems-Stein

bis 1. März 2009, tägl. 11-17 Uhr

Beuys. Die Revolution sind wir

Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin, Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin

bis 25. Jänner 2009, Di-Fr 10 -18 Uhr, Sa 11-20 Uhr, So 11-18 Uhr

Katalog zur Ausstellung, 400 S., € 49,-

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