Firma kommt vor Familie

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Andreas Kriegenburg inszeniert am Burgtheater mit der Urfassung von Maxim Gorkis düsterem Familiendrama "Wassa Schelesnowa" ein Stück mit aktueller Thematik

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Andreas Kriegenburg inszeniert am Burgtheater mit der Urfassung von Maxim Gorkis düsterem Familiendrama "Wassa Schelesnowa" ein Stück mit aktueller Thematik

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Maxim Gorkis 1910 vorgelegte Fassung von "Wassa Schelesnowa" ist ein böses Stück. Ihm fehlt noch jene Gegen-Figur der revolutionären Tochter, die Gorki seiner 25 Jahre später entstandenen stalinstrammen Bearbeitung hinzufügte. Andreas Kriegenburg hat in seiner aktuellen Inszenierung am Burgtheater angesichts der geschichtlichen Erfahrung verzichtet, auf diese optimistische Version zurückzugreifen, aus der "das Programm der (bolschewistischen) Partei starre", wie Anatoli Lunatscharski, der erste sowjetische Volkskommissar für Bildungswesen, die Neigung der Literatur des sozialistischen Realismus umschrieben hat.

Die Urfassung, auf die der nach 15 Jahren endlich wieder am Burgtheater inszenierende Regisseur zurückgreift, ist wesentlich düsterer und näher an den Verhältnissen unserer Gegenwart. Dabei spielt es keine Rolle, dass Kriegenburg seine "Wassa Schelesnowa" in der Entstehungszeit spielen lässt, wie die Ästhetik von Bühne, Requisite und Kostüm nahelegen. Es zeigt sich so wieder die Fähigkeit des Theaters, auch ohne vordergründige Aktualisierungen Zeitgenossenschaft zu benennen, vom Einen zu sprechen und ein Anderes zu meinen oder konkret, die Handlung in der Vergangenheit zu spielen, dabei aber auf die Gegenwart hinzuweisen.

Das Thema des Stückes ist die Ökonomisierung des Privaten oder anders, etwas defätistisch formuliert, jener lautlose und unerklärte Krieg ohne Schlacht, den das System des ungezügelten Kapitalismus bis in die Familien trägt.

Übermächtiges Ungetüm

Es beginnt alles ganz spektakulär: Das Haus der Wassa Schelesnowa ist Hort der Familie und Sitz des Familienunternehmens, für dessen drohenden ökonomischen Ruin die eiserne Hausherrin ganz buchstäblich über Leichen geht, während ihr Ehemann in einem langsamen Siechtum dem sicheren Tod entgegenstirbt. Dieses Haus ist ein an vier vom Schnürboden herunterhängenden Seilen schwebendes Ungetüm von Bühnenbildner Harald B. Thor. Es ähnelt in der Form einer Riesen-Welle aus Holzdielen, die sich im Verlauf des Abends fortwährend bewegt, sich nach hinten oder vorne auch mal sehr steil senkt, ohne dass das Personal jemals auch nur im Geringsten die Balance verlöre. Es erinnert an ein Schiff, eine Arche Noah vielleicht, an ein Raumschiff gar - oder an eine Riesenschaukel, ein Leben auf schwankendem Grund. Als Protagonist gleicht es einem "hounted house", wie man es aus Horrorfilm kennt, gegen dessen Übermacht, so gewinnt man mitunter den Eindruck, die Darsteller anspielen zu müssen glauben. Das führt beim insgesamt überzeugenden Ensemble, vor allem bei den weiblichen Darstellerinnen, manchmal zu Manierismen, großen Gesten und stimmlichen Übertreibungen.

Aufs Treffendste korrespondiert mit dem dominierenden Bühnenaufbau allerdings der monströse Charakter von Wassa Schelesnowa, von Christiane von Poelnitz mit fühlbarer Eiseskälte gespielt. Was bei Gorki noch eher ambivalente Angelegenheit ist, ist bei Kriegenburg ziemlich deutlich. Zwar wird Wassa am Ende von den Dämonen ihrer Taten gejagt, so dass sie kaum Frieden finden wird, aber sie ist keine verzweifelte Mutter vor auswegsloser Entscheidung. Sie entschuldigt ihr Handeln zu überzeugt damit, dass sie nur "missratene Söhne", "nichtsnutzige Menschen" ruinierte: Die Universalisierung des Marktes ohne Grenzen.

Einer sehr heutigen Lesart entspricht, dass Kriegenburg diese so gewalttätige Geschichte ohne rohe Gewalt erzählt. Wenn sie geschieht, dann abseits der Bühne. Subtil nistet sie in einer unaufrichtigen Zärtlichkeit, in der Sprache, in den blicklosen Blicken der Familienmitglieder für einander, in der Kälte der Figuren für Bedürfnisse, Sehnsüchte und Leid der Anderen. Kriegenburg entwirft eine vom Geld regierte Welt ohne Ausweg, deren Preis die allumfassende Entfremdung ist, weil Blicke und Worte ins Leere gehen.

Wassa Schelesnowa

30. Okt., 2., 5., 13. Nov.

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