Flaschenpost aus Taschkent

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Katja Lange-Müller beschreibt vier unheimlich kaputte Typen.

Einsame graue Menschen in einer grauen Stadt gehen in die graue Schriftsetzerei zur Arbeit. Es ist abzusehen, dass der Setzer bald nicht mehr gebraucht wird, das schafft die Atmosphäre des Schicksalhaften für die Vier, die in der ebenfalls ihrem unaufhaltsamen Ende zustrebenden DDR ihr Dasein fristen. Katja Lange-Müller, Bachmann-Preisträgerin 1986, heuer Festrednerin beim auf "Tage der deutschsprachigen Literatur" umgetauften Bachmann-Preis in Klagenfurt, hat einen ebenso liebevollen wie scharfen Blick.

Selbst die Wirtshäuser sind grau und karg. Nach Dienstschluss wird getrunken, dann kommen die Gefühle. Davon aufgeschreckt, wird noch mehr getrunken, um sie gleich wieder zu betäuben. Wohin damit in einer Welt, in der es so schwer ist, anonym und unauffällig zu überleben. Püppi, die linkshändige Setzerin, Manfred, der schizophrene Setzer, Fritz, die "unglücklich geratene Mischung aus Andy Warhol, Klaus Kinski, Hans Albers und Heino" und Willi, die lebende Bleivergiftung sind Außenseiter und haben besondere Mühe, den Schein der Normalität zu wahren. Noch dazu arbeiten sie in einem kleinen Privatbetrieb, der die strengen Blicke der DDR-Bürokratie auf sich zieht. Das verbindet, das lässt zusammenwachsen, wenn auch auf seltsam unverbindliche Art.

Jeder hat so sein Geheimnis. Die junge Frau hat ihren Beruf nie richtig gelernt und jahrelang nicht ausgeübt. Püppi säuft. Manfred hat einen Teil seines Lebens in der geschlossenen Anstalt verbracht. Er spricht kaum und versteht dafür die Sprache der Maschinen, die er liebevoll repariert und verhätschelt. Als vor Jahren ein Polier die Mischmaschine unsanft zum Schweigen brachte, tat er mit dem Polier dasselbe. Fritzens Geheimnis steht in Spiritus auf dem Schrank: ein pelziger, eigroßer Zwilling, der ihm aus der Hüfte operiert wurde. Mit ihm hat er seine Lebensmitte und danach Frau, Lebenssinn und Zukunft verloren. Und Willi hasst seine Mutter, die er täglich hingebungsvoll versorgt und pflegt.

Wie sie täglich zur Arbeit und dann in die Kneipe stolpern, stolpern sie durchs Leben. Püppi verliebt sich in eine Topfpflanze, weil der Kollege nicht und nicht zu verführen ist, was sie ihm nicht wirklich übel nimmt. Viel Alkohol rinnt die Kehlen hinunter. Die allabendlich geschmiedeten Pläne sind am nächsten Morgen nicht mehr rekonstruierbar.

Nur einer entkommt der dumpfen Lethargie. Aus Hass auf die Mutter, der er als ewiger Junggeselle ausgeliefert ist, beginnt Willi den Platz zwischen den Wörtern zu wütend-ordinären Parolen gegen die Mutter zu benützen. Geschickt setzt er Buchstaben und Wörter so, dass nur ein schneller, auf die Zwischenräume konzentrierter Blick auf eine ganze Seite die Flüche zeigt. Wenn schon das Setzen keinen Lebenssinn macht, sollen wenigstens die Zwischenräume der Psychohygiene des Setzers dienen. Ähnlich wie die Bilder des Grafikers Escher ihre Figuren nur dem selektiven Blick erschließen, wird es zur Obsession des alternden Setzers, seinen aufgestauten Hass in den Büchern verschlüsselt abzuladen.

Den allgemeingültigen Sinn der Worte beamt er in die Unschärfe, um zu überleben. Und letztlich beamt er sich selbst aus dem Leben der bettlägerigen Mutter. Ohne ein Wort des Abschieds geht er nach Taschkent, wo er einen Verbündeten im Geiste vermutet, den Setzer eines Wörterbuchs, der einst ebenfalls in den Zwischenräumen die Flaschenpost seiner Botschaften versteckt hat. Er findet ihn uralt, gelähmt und unter der Fuchtel einer tyrannischen Mutter.

Auf nicht einmal 140 Seiten zeichnet Katja Lange-Müller präzise Charakterstudien, die im Gedächtnis haften. Sie hat selbst den Beruf der Schriftsetzerin erlernt. Erfolgreich widmet sie sich seither einem ganz anderen Aspekt der Buchstaben und Wörter. Dass sie die Zwischenräume zum Inhalt ihrer Beobachtungen macht, gibt Denkanstösse über unsere Wahrnehmung der Welt. Je nachdem, worauf wir uns konzentrieren, erhält etwas Gestalt. Alles andere verliert an Schärfe, Intensität, Schmerz. Hass als erschreckender, aber auch erlösender Impuls, wenn die Liebe nur noch einer vertrockneten Zimmerpflanze gleicht: eine interessante Alternative zum Die-Liebe-verändert-die-Welt" Gefasel des esoterischen Zeitgeists. Dieses Buch ist klar, kraftvoll und doch seltsam zart und geheimnisvoll, wie eben große Kunst.

Die letzten Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei

Von Katja Lange-Müller

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000

135 Seiten, geb., öS 204,-/e 14,83

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