Flucht vor den Fahnen

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Glasklare Poesie, vielsagend und doch zugleich eine einzige Attacke gegen die Geschwätzigkeit: In den Gedichten von Karl Lubomirski kommt eine Stimme zu Wort, die sich selbstbewusst aus den Fesseln der konventionellen wie auch der experimentellen Lyrik befreit und die so präzis wie nur möglich auf den Punkt zu bringen versucht, was ihr wesentlich, was überhaupt wert ist festgehalten zu werden; zum Beispiel zum Thema LEBEN. "Dein unscharfes Ja /dein /genaues Nein."

Gedichte dieser Art entziehen sich jeder eindeutigen Sinngebung. Sie inspirieren zum Disput - mit den einzelnen Zeilen, mit den semantischen Leerflächen, mit der gesamten Struktur (zum Beispiel mit dem Reim), und sie laden somit ein zur Auseinandersetzung mit fremden wie mit eigenen Denk- und Verhaltensmustern: mit den eigenen am meisten.

Das Tempus der erzählten Welt, das Präteritum kommt in diesen Gedichten nur selten vor. Was in erster Linie verhandelt wird, ist das Hier und Jetzt, scharf beobachtet aus einer Perspektive, die auch sich selbst (um nicht unangreifbar zu wirken) ins Licht rückt.

Vordergründig Natur und Landschaft

Vordergründig ist oft die Rede von der Natur und von den verschiedensten Landschaften, von der Chinesischen Mauer, vom Ararat, von Czernowitz, Siena, Tarquinia, Milano usw., aber die Reisebilder dieses Autors werden stets umgehend verdichtet zu Sätzen, die Position beziehen, mit wenigen Strichen und doch unmissverständlich, wenn es so sein soll: "FAHNEN / gehorchen dem Wind, / nicht / dem Mast." Zeilenbrüche, unausgefüllte Räume zwischen den Versen, die dazu animieren, das Ungesagte zu ergänzen (und dann ab und zu doch mit ganz unerwarteten Kehrtwendungen überraschen), geben vielfach Nachdenkmöglichkeiten in die verschiedensten Richtungen.

Aber wo es darauf ankommt, Klartext zu reden, tritt das lyrische Ich, das sonst sich gerne vornehm zurückhält, ganz entschieden auf den Plan: "FLÜCHTLINGE // Sie kommen. / Sie kommen von so weit her, / sie kommen über das tödliche Meer / und glauben / an den Menschen /in uns, / wie wir ans Einhorn /glaubten." Ist's verwunderlich, dass dieses Ich, wenn es so um sich schaut und dann wieder einmal kurz zurückblickt, bisweilen zur Resignation neigt (ehe es sich dann doch immer wieder dazu aufrafft, Deutsch zu reden)?

Karl Lubomirski, geboren 1939 in Hall in Tirol, lebt seit 1962 in Italien, heute in Brugherio, nahe Mailand. Seine Gedichte, die sich nie damit begnügen, eine "standardisierte Wahrheit" zu vermitteln (wie Werner Kraft schon 1984 bemerkt hat), längst in viele Sprachen übersetzt, verdienen es, auch und gerade in Österreich weit mehr als bisher Beachtung zu finden.

Sieben Meere

Gedichte von Karl Lubomirski

Löcker 2015 (edition pen Bd. 22)

155 S., kart., € 19,80

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